Blumfeld, ein älterer Junggeselle
Pfeifen zu
holen, die dort in einem Gestell hängen. Unwillkürlich schlägt
er, ehe er sich umdreht, mit einem Fuß nach hinten aus, die Bälle
aber verstehen es auszuweichen und werden nicht getroffen. Als
er nun um die Pfeife geht, schließen sich ihm die Bälle gleich
an, er schlurft mit den Pantoffeln, macht unregelmäßige Schritte,
aber doch folgt jedem Auftreten fast ohne Pause ein Aufschlag
der Bälle, sie halten mit ihm Schritt. Blumfeld dreht sich uner-
wartet um, um zu sehn, wie die Bälle das zustande bringen. Aber
kaum hat er sich umgedreht, beschreiben die Bälle einen Halb-
kreis und sind schon wieder hinter ihm und das wiederholt sich,
sooft er sich umdreht. Wie untergeordnete Begleiter suchen sie
es zu vermeiden, vor Blumfeld sich aufzuhalten. Bis jetzt haben
sie es scheinbar nur gewagt, um sich ihm vorzustellen, jetzt aber
haben sie bereits ihren Dienst angetreten.
Bisher hat Blumfeld immer in allen Ausnahmsfällen, wo sei-
ne Kraft nicht hinreichte, um die Lage zu beherrschen, das Aus-
hilfsmittel gewählt, so zu tun, als bemerke er nichts. Es hat oft
geholfen und meistens die Lage wenigstens verbessert. Er verhält
sich also auch jetzt so, steht vor dem Pfeifengestell, wählt mit
aufgestülpten Lippen eine Pfeife, stopft sie besonders gründlich
aus dem bereitgestellten Tabaksbeutel und läßt unbekümmert
hinter sich die Bälle ihre Sprünge machen. Nur zum Tisch zu
gehn zögert er, den Gleichtakt der Sprünge und seiner eigenen
Schritte zu hören, schmerzt ihn fast. So steht er, stopft die Pfei-
fe unnötig lange und prüft die Entfernung, die ihn vom Tische
trennt. Endlich aber überwindet er seine Schwäche und legt die
Strecke unter solchem Fußstampfen zurück, daß er die Bälle gar
nicht hört. Als er sitzt, springen sie allerdings hinter seinem Ses-
sel wieder vernehmlich wie früher.
Über dem Tisch ist in Griffnähe an der Wand ein Brett an-
gebracht, auf dem die Flasche mit dem Kirschenschnaps von
kleinen Gläschen umgeben steht. Neben ihr liegt ein Stoß von
Heften der französischen Zeitschrift. (Gerade heute ist ein neu-
es Heft gekommen und Blumfeld holt es herunter. Den Schnaps
vergißt er ganz, er hat selbst das Gefühl, als ob er heute nur aus
Trost an seinen gewöhnlichen Beschäftigungen sich nicht hin-
dern ließe, auch ein wirkliches Bedürfnis zu lesen hat er nicht. Er
schlägt das Heft, entgegen seiner sonstigen Gewohnheit, Blatt
für Blatt sorgfältig zu wenden, an einer beliebigen Stelle auf und
findet dort ein großes Bild. Er zwingt sich, es genauer anzusehn.
Es stellt die Begegnung zwischen dem Kaiser von Rußland und
dem Präsidenten von Frankreich dar. Sie findet auf einem Schiff
statt. Ringsherum bis in die Ferne sind noch viele andere Schiffe,
der Rauch ihrer Schornsteine verflüchtigt sich im hellen Himmel.
Beide, der Kaiser und der Präsident, sind eben in langen Schritten
einander entgegengeeilt und fassen einander gerade bei der Hand.
Hinter dem Kaiser wie hinter dem Präsidenten stehen je zwei
Herren. Gegenüber den freudigen Gesichtern des Kaisers und des
Präsidenten sind die Gesichter der Begleiter sehr ernst, die Blicke
jeder Begleitgruppe vereinigen sich auf ihren Herrscher. Tiefer
unten, der Vorgang spielt sich offenbar auf dem höchsten Deck
des Schiffes ab, stehen vom Bildrand abgeschnitten lange Rei-
hen salutierender Matrosen. Blumfeld betrachtet allmählich das
Bild mit mehr Teilnahme, hält es dann ein wenig entfernt und
sieht es so mit blinzelnden Augen an. Er hat immer viel Sinn für
solche großartige Szenen gehabt. Daß die Hauptpersonen so un-
befangen, herzlich und leichtsinnig einander die Hände drücken,
findet er sehr wahrheitsgetreu. Und ebenso richtig ist es, daß die
Begleiter — übrigens natürlich sehr hohe Herren, deren Namen
unten verzeichnet sind — in ihrer Haltung den Ernst des histori-
schen Augenblicks wahren.)
Und statt alles, was er benötigt, herunterzuholen, sitzt Blum-
feld still und blickt in den noch immer nicht entzündeten Pfeifen-
kopf. Er ist auf der Lauer, plötzlich, ganz unerwartet weicht sein
Erstarren und er dreht sich in einem Ruck mit dem Sessel um.
Aber auch die Bälle sind entsprechend wachsam oder folgen ge-
dankenlos dem sie beherrschenden Gesetz, gleichzeitig mit Blum-
felds Umdrehung verändern auch sie ihren Ort und verbergen
sich hinter seinem Rücken. Nun sitzt Blumfeld mit dem Rücken
zum Tisch, die kalte Pfeife in der Hand.
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