Blumfeld, ein älterer Junggeselle
wenigstens
eine halbe Stunde vor Bureaubeginn erscheint, — nicht Stre-
berei, nicht übertriebenes Pflichtbewußtsein, nur ein gewisses
Gefühl für Anstand veranlaßt ihn dazu, — Blumfeld muß auf
seine Praktikanten meist länger als eine Stunde warten. Die
Frühstücksemmel kauend steht er gewöhnlich hinter dem Pult
im Saal und führt die Rechnungsabschlüsse in den kleinen Bü-
chern der Näherinnen durch. Bald vertieft er sich in die Arbeit
und denkt an nichts anderes. Da wird er plötzlich so erschreckt,
daß ihm noch ein Weilchen danach die Feder in den Händen
zittert. Der eine Praktikant ist hereingestürmt, es ist, als wolle
er umfallen, mit einer Hand hält er sich irgendwo fest, mit der
anderen drückt er die schwer atmende Brust — aber das Gan-
ze bedeutet nichts weiter, als daß er wegen seines Zuspätkom-
mens eine Entschuldigung vorbringt, die so lächerlich ist, daß
sie Blumfeld absichtlich überhört, denn täte er es nicht, müßte
er den Jungen verdienterweise prügeln. So aber sieht er ihn nur
ein Weilchen an, zeigt dann mit ausgestreckter Hand auf den
Verschlag und wendet sich wieder seiner Arbeit zu. Nun dürfte
man doch erwarten, daß der Praktikant die Güte des Vorgesetz-
ten einsieht und zu seinem Standort eilt. Nein, er eilt nicht, er
tänzelt, er geht auf den Fußspitzen, jetzt Fuß vor Fuß. Will er
seinen Vorgesetzten verlachen? Auch das nicht. Es ist nur wie-
der diese Mischung von Furcht und Selbstzufriedenheit, gegen
die man wehrlos ist. Wie wäre es denn sonst zu erklären, daß
Blumfeld heute, wo er doch selbst ungewöhnlich spät ins Bureau
gekommen ist, jetzt nach langem Warten — zum Nachprüfen der
Büchlein hat er keine Lust — durch die Staubwolken, die der un-
vernünftige Diener vor ihm mit dem Besen in die Höhe treibt, auf
der Gasse die beiden Praktikanten erblickt, wie sie friedlich da-
herkommen. Sie halten sich fest umschlungen und scheinen ein-
ander wichtige Dinge zu erzählen, die aber gewiß mit dem Ge-
schäft höchstens in einem unerlaubten Zusammenhange stehn.
Je näher sie der Glastür kommen, desto mehr verlangsamen sie
ihre Schritte. Endlich erfaßt der eine schon die Klinke, drückt
sie aber nicht nieder, noch immer erzählen sie einander, hören
zu und lachen. »Öffne doch unseren Herren«, schreit Blumfeld
mit erhobenen Händen den Diener an. Aber als die Praktikan-
ten eintreten, will Blumfeld nicht mehr zanken, antwortet auf
ihren Gruß nicht und geht zu seinem Schreibtisch. Er beginnt zu
rechnen, blickt aber manchmal auf, um zu sehn, was die Prakti-
kanten machen. Der eine scheint sehr müde zu sein und reibt die
Augen; als er seinen Überrock an den Nagel gehängt hat, benützt
er die Gelegenheit und bleibt noch ein wenig an der Wand leh-
nen, auf der Gasse war er frisch, aber die Nähe der Arbeit macht
ihn müde. Der andere Praktikant dagegen hat Lust zur Arbeit,
aber nur zu mancher. So ist es seit jeher sein Wunsch, auskehren
zu dürfen. Nun ist das aber eine Arbeit, die ihm nicht gebührt,
das Auskehren steht nur dem Diener zu; an und für sich hätte
ja Blumfeld nichts dagegen, daß der Praktikant auskehrt, mag
der Praktikant auskehren, schlechter als der Diener kann man es
nicht machen, wenn aber der Praktikant auskehren will, dann
soll er eben früher kommen, ehe der Diener zu kehren beginnt,
und soll nicht die Zeit dazu verwenden, während er ausschließ-
lich zu Bureauarbeiten verpflichtet ist. Wenn nun aber schon der
kleine Junge jeder vernünftigen Überlegung unzugänglich ist, so
könnte doch wenigstens der Diener, dieser halbblinde Greis, den
der Chef gewiß in keiner andern Abteilung als in der Blumfelds
dulden würde und der nur noch von Gottes und des Chefs Gna-
den lebt, so könnte doch wenigstens dieser Diener nachgiebig
sein und für einen Augenblick den Besen dem Jungen überlas-
sen, der doch ungeschickt ist, gleich die Lust am Kehren verlieren
und dem Diener mit dem Besen nachlaufen wird, um ihn wieder
zum Kehren zu bewegen. Nun scheint aber der Diener gerade
für das Kehren sich besonders verantwortlich zu fühlen, man
sieht wie er, kaum daß sich ihm der Junge nähert, den Besen
mit den zitternden Händen besser zu fassen sucht, lieber steht
er still und läßt das Kehren, um nur alle Aufmerksamkeit auf
den Besitz des Besens richten zu können. Der Praktikant bittet
nun nicht durch Worte, denn er fürchtet doch Blumfeld, wel-
cher scheinbar rechnet,
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