Blut & Barolo
tot sein? Weißt du etwa von dem Bootsunglück?«
»Bootsunglück? Nein. Eine Beerdigung, hier in Turin. Sie hatten ein Bild von dir. Das warst du!«
»Hier in Turin? Ach, Niccolò, hörst du mir denn nie zu, wenn ich etwas erzähle. Mein Zwinger ist hier, und alle meine Wurfgeschwister sind in Turin vermittelt worden. Die Tote, das muss meine Zwillingsschwester gewesen sein. Wir glichen uns bis aufs Haar. Ein zickiges Ding und ein schrecklicher Dickkopf. Schlug total aus der Art. Und du hast geglaubt, das wäre ich? Oh, Niccolò, ich dachte auch, dass ich dich nie wiedersehe.«
Dann begann Canini zu erzählen, ohne Punkt und Komma, als bräuchte sie keine Luft holen. Rory behielt derweil die Eingangstür des Hochhauses im Auge.
»Als wir dann die Kleidung des Bettlers bei Mario fanden, weißt du, von dem Giacomo berichtet hat, am Palazzo Stupinigi, da wusste ich, dass er für alles verantwortlich ist. Weil er die perfekte Verbindung mit dir wollte, dafür würde er alles opfern. Isabella musste ins Gefängnis, damit er freie Bahn hat.«
»Dann muss er zur Ponte Umberto I.! Heute Nacht. Giacomo wird ihn dort überführen, er hat einen Plan.«
»Einen Plan? Wunderbar! Wie sieht der denn aus?«
Da war er wieder, dieser kritische Unterton. Wie bekam sie das nur hin?
»Das weiß nur Giacomo. Er wollte nicht darüber reden. Alle Verdächtigen sollen heute zu der Brücke gebracht werden. Eigentlich war ich nur wegen Saada hier, aber jetzt müssen beide mit.«
»Was soll sie denn damit zu tun haben?«
»Wir haben jetzt keine Zeit für Erklärungen. Lass uns Mario holen!«
»Er arbeitet noch«, sagte Rory in seiner ruhigen Art.
»Aber mittags kommt er immer kurz nach Hause, um nach mir zu sehen.«
»Aber er weiß doch, dass du fort bist!« Niccolò tippelte unruhig vor und zurück.
»Ja, aber Mario ist ein Gewohnheitstier. Ich hab ihn gut erzogen. Gleich kommt er um die Ecke, dahinten. Mit einem Ciabatta. Die Buslinie ist unpünktlicher als Mario. Zuerst kommt diese Frau, die aussieht wie ein Schneemann, mit ihrem molligen Mops, dann er. Achtung, jetzt!«
Die Frau ähnelte wirklich einem der Schneemänner, die Niccolò im Park gesehen hatte. Doch ihre Nase war keine Karotte und ihre Augen bestanden nicht aus schwarzen Steine. Aber ansonsten? Täuschend echt.
Dann folgte Mario.
»Ihr lockt ihn zum Po«, flüsterte Canini, »ich renn ins Haus, schnappe mir das ... Giraffiund bring es später mit Saada zu euch. Guckt nicht so, das schaffe ich schon.« Sie stellte sich so vor Niccolò, dass Rory sie nicht hören konnte. »Er wünscht sich nichts mehr, als gegen dich zu rennen. Ich habe ihm erzählt, du seist der Schnellste.«
»Stimmt ja auch.«
»Er ist natürlich viel größer als du ... und er hat mir bei der Flucht geholfen. Wie würde er sich freuen, dich zu besiegen. Er ist ein guter Hund, musst du wissen.«
»Was soll das heißen? Wäre ich besser nicht hergekommen?«
»Dummkopf! Ich muss weg. Du weißt schon, wie ich es meine.« Sie wechselte die Straßenseite und kroch unter ein parkendes Auto.
»Kennst du den Weg zur Ponte Umberto I.?«, fragte Niccolò, zu dem fast doppelt so großen Deerhound aufblickend. »Das ist meine Stadt.«
»Wenn du so schnell rennst, wie du sprichst, brauch ich mich gleich gar nicht anzustrengen.«
»Ach.«
»Ich warne dich nur vor. Damit du dir keine falschen Hoffnungen machst.«
»Mhm.«
Der tranige Bursche ließ sich nicht mal richtig foppen. Da war Giacomo von ganz anderem Kaliber.
Als Mario den Schlüssel ins Schloss steckte und die Tür leicht aufdrückte, bellte Rory kurz und tief auf. »Dann guckt er immer«, erklärte er Niccolò. »Ganz automatisch.«
Mario hielt in der Bewegung inne. Die Hand noch am Schlüssel, drehte er den Kopf zu den beiden Hunden, die startbereit an der Ampel standen.
»Rory! Niccolò! Ihr seid wieder zu mir zurückgekommen.«
In seinen Augen standen Tränen, er presste die Lider aufeinander. Mit zitternden Beinen ging er in die Knie und breitete seine Arme aus.
Die Tür fiel in dem Augenblick zu, als die beiden Windhunde um die Ecke liefen. Doch Canini war unbemerkt ins Hochhaus geschlüpft.
»Guter Start«, sagte Niccolò anerkennend. »Aber es ist noch ein ganzes Stück bis zum Po.«
»Hör auf zu reden und lauf, Windspiel. Du wirst deine Luft noch brauchen.«
Mario rannte ihnen hinterher, das Weiß seiner Augen bebend. Er war schnell – doch der Abstand wurde größer. Es galt, ihn diesen so verkürzen zu lassen, dass er
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