Blut & Barolo
Der alte Trüffelhund hatte es nicht weit, denn nur wenig entfernt, zwischen der prächtigen Ponte Umberto I. mit ihren Bronzestatuen und der Ponte Principessa, lag der Parco del Valentino. Baumgesäumte Wege, von Schnee bedeckte Beete und imposante Bauten wie die des Borgo Medievale barg dieser Traum der piemontesischen Metropole.
Der Conte Rosso hatte sich damit einen der schönsten Plätze Turins als Machtzentrum auserwählt. Während sich große Schneeflocken in seinem Fell verfingen, dachte Giacomo darüber nach, wie der Conte wohl aussehen würde, von welcher Rasse er war. Giacomo wusste nur, dass viele Straßenköter ihm huldigten – und einen Teil ihrer Beutezüge darbrachten. Im Gegenzug sorgte er für ihren Schutz. Direkt gezeigt hatte er sich noch niemandem. Der Conte ließ seine Worte stets durch Schergen übermitteln.
Nachdem Giacomo die Ponte Umberto I. überquert hatte, stand er vor dem nahezu verlassenen Parco del Valentino. Doch gerade in dessen Stille lag eine besondere Schönheit. An den Sommerwochenenden flanierten die Turiner scharenweise hindurch, doch nun gehörte der Park sich selbst. Nur wenige Tier- und Menschenspuren verliefen über die verschneite Pracht. Einige Bäume waren von Artgenossen markiert worden, sie hatten sich bemüht, besonders hoch zu pinkeln, wollten beeindrucken. Giacomo hinterließ ein paar Spuren. Darüber. Er konnte einfach nicht anders.
Der kleine Niccolò hätte jetzt sicher gefroren. »Lass uns irgendwo reingehen«, hätte er gebettelt. »Stell dich nicht so an«, hätte Giacomo ihn dann angeherrscht – und einen Unterschlupf gesucht. Oder Niccolò hätte nach Schneeflocken geschnappt. »Komm, mach schon mit! Die beißen nicht!«, hätte das Windspiel ihm zugerufen. »Aber ich dich, wenn du nicht bald mit der dummen Springerei aufhörst!«, hätte Giacomo brummig geantwortet. Und sich gewünscht, noch einmal so jung zu sein.
Aber Niccolò lief nicht neben ihm.
Den Weg zum Borgo Medievale, diesem Nachbau eines spätmittelalterlichen befestigten Dorfes mit seinen Häusern, Brunnen, Läden, all seinen getreuen Kopien aus unzähligen Ortschaften des Piemont und des Aostatals, musste er alleine antreten. Dort sollte der Conte Rosso hausen. Menschen mochten sich von den Fassaden täuschen lassen, doch echte historische Häuser rochen anders. Vor allem rochen sie alle unterschiedlich, weil sie zu verschiedenen Zeiten erbaut waren, mit anderen Materialien, Farben, Hölzern. Doch das Borgo Medievale roch wie ein einziges großes Haus. Mit anderen Worten: langweilig. Kein Mensch war unterwegs, nur eine alte Frau, die gebückt und ständig vor sich hin murmelnd den Weg entlangschritt.
Deutlich spannender war die schwarze verzogene Holztür.Sie fand sich verborgen hinter einem hochgewachsenen Busch in einer Mauer, die den Hügel der Burg stützte. Viele Hunde mussten hierhergelaufen sein. Im Schnee ließen sich ihre Spuren erkennen. Ein Berner Sennenhund mochte sich nur mit Mühe durch die Öffnung quetschen können, doch Giacomo glitt problemlos durch den Türspalt ins Dunkel. Nach wenigen Schritten stand er in einem Raum, an dessen gegenüberliegender Wand sich eine halbgeöffnete Metalltür befand. Die Farbe war längst von den Wänden geblättert, sie lagen nun blank wie die Knochen eines Gerippes. Der Holzboden war zu einem tiefen Grau ausgewettert. Zweige und Äste fanden sich darauf, und sogar ein zersplitterter Dachbalken. In einer feuchten Ecke, über der Regenwasser unzählige dunkle Linien gezeichnet hatte, spross Brunnenlebermoos auf einem Sofa. Dieser Teil der Burg musste vor Jahrzehnten verfallen sein, dick wie Sahne floss Licht durch das löchrige Dach herein. In der Mitte lagen Opfergaben für den Conte. Ein halber Laib Brot, eine angekaute Mustardella, einige Dosen mit Resten. Nicht viel, aber der Tag war noch jung. Giacomo versteckte sich hinter dem Balken, sein schmutzig graues Fell bot die perfekte Tarnung. Jetzt hieß es warten. Das konnte er gut, hatte es mit dem Alter wie von selbst gelernt. In den nächsten Stunden beobachtete er, wie der Futterberg stetig wuchs.
Als die Nacht hereinbrach, sich müde und schwer auf das Borgo legte, hörte er plötzlich eine Stimme. Sie kam von der Holztür.
»Wer wagt es, in der Halle des Conte zu liegen?« Eine heisere Stimme, wie rostiges Metall.
»Als Halle würde ich das hier nicht bezeichnen.«
Ein Bellen erklang, viel tiefer und mächtiger. Giacomo stand auf und ging in die Mitte der ... Halle.
»Ich
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