Blut & Barolo
Finger auf ihn und schrie.
Also musste er weiter. Würde das jetzt immer so gehen? War so das Leben in der Stadt? Er wollte zurück aufs Land, wollte seine Ruhe haben und einen Napf voll gutem Wein.
Wenn er Isabella fand, würde alles gut werden. Sie würde Niccolò ausfindig machen, und dann ginge es nichts wie ab nach Rimella. Dieses merkwürdige Tuch würde einfach verrotten. Alle Dinge vergingen, warum sollte es dem verdammten Ding besser ergehen als Blumen, Fliegen oder schimmligem Käse? Sie würden nie mehr daran denken, nicht mehr davon reden, es vergessen. Ganz schnell.
Die Questura sah aus wie ein Palast. Sie schien ausschließlich aus Bögen zusammengesetzt, aus Balkonen und Fenstern. Kein Stahl, kein Beton, kaum gerade Ecken. Als wäre sie aus dem Boden gewachsen und nicht von Menschen errichtet. Giacomo mochte sie auf Anhieb. Isabella wäre darin sicher gut aufgehoben – zumindest wenn das Fressen dort so geschmackvoll war wie das Gebäude.
Die Zellen sollten laut Maria Grazia im hinteren Bereichliegen, eine schmale Gasse führte dorthin. Auf dem Bürgersteig der Hauptstraße hatte sich der Schnee schon in Matsch verwandelt, das Streusalz schmerzte an den Pfoten, hier im ewigen Schatten dagegen war das Eis noch steinhart am Boden festgefroren. Leider hing kein Aroma von Lindenblüten, Vanille und Lavendel in der Luft, wie Isabella es verströmte, am intensivsten nach der Morgenwäsche.
Weiter den Weg hinunter sollte es einen Innenhof geben, auf dem die Gefangenen spazieren durften. Jeden Tag ein paar Runden.
Giacomo kam nicht so weit.
Ein Pfiff zerriss die gedämpfte Stille. Gefolgt von einem selbstzufriedenen Schnaufen. Ein Mann mit einem kantigen Profil versperrte das helle Rechteck am Ende der Gasse.
»Alle meinten, es wäre eine blöde Idee. Aber jetzt lacht keiner mehr! Ich mache den Job schon verdammt lange. Was bringt es, dort zu warten, wo auch alle anderen stehen? Nichts! Instinkt, darum geht es doch. Denken wie ein Tier. Ein Lagotto ist treu, und er hat eine gute Nase. Er wird sein Frauchen suchen. Und dieser Lagotto gehörte einst dem alten Trifolao in Grinzane Cavour. Dieses Vieh ist das beste. Und jetzt wird es vom Besten gefangen. – Roberto, mach die Gasse dicht!«
Ein zweiter Mann tauchte am anderen Ende auf.
Aus einer Maronenschale gab es mehr Fluchtmöglichkeiten.
Warum war das Leben immer so ungerecht? Mal stapelte sich das Glück, bis man nicht mehr bemerkte, wie viel man davon hatte, und ein anderes Mal erschlug einen das Leid, bis man sich nicht mehr regen konnte. Klug aufgeteilt wäre alles besser zu ertragen oder zu genießen gewesen. Doch Giacomo blieb leider nichts anderes übrig, als den Blick größer werden zu lassen, in Zeit und Raum, das Ganze zu sehen, weil das Einzelne unerträglich wurde.
Er würde sich nicht einfach hinsetzen und abwarten, was diese beiden Menschen ihm antaten. Giacomo raste stattdessen los, mit aller Kraft, die seine Muskeln aufbringen konnten. Er stellte sich vor, dass hinter dem Mann eine riesengroße weiße Trüffel auf ihn wartete. Er konnte ihren grandiosen Duft fast schon riechen.
Und sprang.
Mario kraulte Niccolò die Ohren, seine Fingerspitzen waren ausdauernd und geschickt. Das junge Windspiel senkte den Kopf leicht zur Seite, um an seiner Lieblingsstelle gestreichelt zu werden. Dieser Mensch gab sich wirklich alle Mühe. Er hatte sich in der Nacht sogar zu ihnen ins Zimmer gelegt, beruhigende Worte gesprochen, die sich wie Salbe auf Niccolòs wundes Herz legten. Selbst sein heutiger Fluchtversuch hatte nicht zu Schlägen geführt, nicht einmal zu bösen Worten. Stattdessen hatte Mario sich zu ihm gekniet, wobei seine Knie geknackt hatten, und ihn in die Arme geschlossen, ihm ein Leckerli gegeben. Mario war ein guter Mensch.
Und er ein dummer Hund.
Wie hatte er nur in den Obststand knallen können? Natürlich war es glatt gewesen, schließlich war Winter und alles vereist. Aber er musste ja rennen wie ein Irrer! Bloß weg. Und dann war er in die Melonen gerutscht, die Orangen, und vor allem in diese Tomaten, viel zu viele, viel zu weiche Tomaten. Sie platzten, als er auf ihnen ausrutschte, und die Obsthändlerin, obwohl schwerfällig mit sicher vier Lagen Kleidung, schnappte sich ihn blitzschnell am Halsband. Dann kam Mario auch schon um die Ecke gerannt und trug ihn zurück, seinen Mantel wärmend um ihn geschlagen. Dabei hatte er immer noch den von Isabella genähten Pullover aus Teddybärenfell an. Er würde ihn nicht
Weitere Kostenlose Bücher