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Blut & Barolo

Titel: Blut & Barolo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Sebastian Henn
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ausziehen, bis er sie gefunden hatte.
    Mario nahm sich viel Zeit für Niccolò, während seine Frau mit Canini spazieren ging. Zeit war für einen Hund die wertvollste Währung. Mario schien ein reicher Mann zu sein.
    Doch irgendwann kam Canini zurück, und das Leben geriet wieder in Schwung. Die Spanielhündin berichtete von den Schrecken der Stadt, der Unübersichtlichkeit, den unachtsamen Menschen, den ständig hupenden Autokolonnen, den feindlich gesinnten Hunden. Die Enge machte alle verrückt. Zudem seien die Häuser viel zu hoch, sie drohten umzufallen. Canini erzählte, sie sei zur Sicherheit geduckt gegangen. Die Hündin war nicht mehr dieselbe seit dem Verschwinden Isabellas. Wie ein junger Bohnenstock, dem man das stützende Holz geraubt hatte. Ihre Fröhlichkeit, ihr wunderbar freches Mundwerk, alles fort. Jetzt fraß sie hastig in der Küche, den Napf vor lauter Eifer auf dem Fliesenboden mal hierhin, mal dorthin schiebend.
    Niccolò sprang wieder auf das Fenstersims, um im Schachbrettmuster der Stadt nach einem Hinweis zu suchen. Mittlerweile hatte er sich an die furchtbare Höhe gewöhnt, doch das Weiß der Dächer und das dreckige Grau der Straßen gaben wieder einmal nichts preis.
    »Suchst deine Isabella, was?« Rory lief ans Fenster, blickte neben ihm hinaus – dafür musste er sich nicht einmal strecken. »Du hättest früher mit mir wegen deiner Flucht reden sollen.« Der Scottish Deerhound setzte sich und kratzte mit dem Hinterlauf ein Ohr, was wegen seiner Größe aussah, als würde ein Baukran tanzen. »Bist ja direkt Marios Liebling geworden, weil du so klein und süß bist. Heißt Windhund, obwohl dich vermutlich schon ein leichtes Lüftchen umhaut.« Er wechselte das Ohr. »Egal. Du willst weg, ich sag dir, wie. Denn wenn du deine Isabella wirklich finden willst, hast du heute zum letzten Mal die Chance, dich auf den Weg zu machen. Wegen deines jämmerlichen Fluchtversuchs hat Mario dich von jetzt an nämlich voll im Blick.«
    »Was bedeutet, dass es zu spät ist.« Niccolò ließ seinen Kopf gegen die kalte Scheibe sinken.
    »Nein, noch nicht ganz. Die Putzfrau ist deine letzte Chance. Mario wird ihr erst heute wegen dir Bescheid sagen. Also dass sie dich kleinen Scheißer im Auge behalten soll, weil du sonst ausbüxt. Ab morgen wird sie auch jedes Mal klingeln, bevor sie die Wohnungstür aufschließt. Damit du rechtzeitig ins Zimmer gesperrt werden kannst. Also flieh heute, oder du kommst hier nie mehr raus. Ist nur ein gutgemeinter Rat. Deine Isabella steckt übrigens in der Questura, das lief im Fernsehen. Liegt ganz in der Nähe. Einfach die Via Villa della Regina runter und am Po rechts. Du erkennst das Gebäude an den Fenstergittern. Aber deine Chance ist gering, gleich kommt die Putzfrau, wie jeden zweiten Tag.«
    Er kratzte sich noch ein wenig kräftiger und rannte dann in Richtung Flur. Nie ging er. Entweder ruhte der Scottish Deerhound oder er lief. Etwas anderes gab es nicht. »Ich höre schon, wie sie unten ihr altes Fahrrad ankettet. Dein Zug ist abgefahren, Windspiel. Willkommen in deinem neuen Leben.«
    Rory ließ es wie eine Drohung klingen. Niccolòs Herz begann so zu rasen, dass es ihm vorkam, als würde es in seinem ganzen Körper hämmern. Als Schritte aus dem Treppenhaus zu hören waren, stürzte er sich vom Fenstersims und lief zu Canini. Sie war in der Küche, wo ihn die dunkle Frau anlächelte. Sie kochte gerade das Abendessen und zeigte ihm ein schönes fettiges Stück Schweinefleisch.
    »Ich muss sofort weg«, sagte er zu der Spanielhündin und leckte ihr zärtlich über den Kopf.
    Sie hörte sofort mit dem Essen auf, einige Fleischstückchen klebten ihr in den langen Ohren. »Nein, du gehst nicht. Du bleibst bei mir!«
    »Aber wir müssen doch Isabella helfen. Sie braucht ... « Niccolò kam nicht weiter.
    »Du wirst Isabella niemals finden! Diese Stadt ist riesig, sie hört gar nicht mehr auf. Und auch Giacomo wird dir hier nicht über den Weg laufen. Du bleibst. Schluss!«
    »Wieso Giacomo? Der ist bestimmt noch bei diesem Schloss und wartet auf uns.«
    Sie blickte unsicher in ihren Napf. »Was soll ich denn ohne dich tun?«
    »Dann komm mit!«
    »Ich kann nicht.«
    »Warum?
    »Ich habe Angst.«
    »Für Angst habe ich keine Zeit, Canini. Es tut mir leid. Ich komme bald wieder. Hier ist es doch schön, es wird dir an nichts fehlen und es sind gute Menschen. Aber wir gehören eben zu Isabella.«
    Canini stellte sich ihm in den Weg, die Ohren kampfbereit

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