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Blut & Barolo

Titel: Blut & Barolo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Sebastian Henn
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kleinen Raum geschaffen, in den sich die Priester zurückziehen können. Seit vielen, vielen Jahren hat ihn keiner mehr genutzt, doch ein Geistlicher erinnerte sich. Einer von den Stillen, die sein wollen wie Bäume.«
    Die Holztür des Raums war schwer wie eine Grabplatte, ihr reichverziertes Schloss verlangte nach einem großen Schlüssel. Doch nun stand sie offen. Tommaso ging nur sehr zögerlich hinein, Amadeus tat es ihm gleich. Denn es roch nach Blut und Tod. Wie ein Vorwurf türmte sich der Gestank im Raum. Ein alter Priester, die Haut faltig wie die eines Bassets, lag rücklings auf dem Boden. Neben ihm ein Tisch mit einer halbvollen Flasche Rotwein. Sonst stand nichts mehr in diesem Raum – alles lag auf dem Boden verstreut. Schränke waren geborsten, Stühle zerbrochen, Gardinen zerrissen, Glas gesplittert. Chaos.
    »Ein Kampf«, sagte Tommaso. »Und ein Verlierer.«
    Das Gesicht des Mannes schien Amadeus vertraut. Als er ihn endlich erkannte, wich die Luft aus seiner Lunge wie nach einem schweren Tritt.
    »Es ist der Wächter des Sindone, den die Menschen auserkoren haben!«
    »Tommaso hat viele Menschen gesehen, die der Alkohol vernichtet hat.«
    »Was redest du, Bulldogge! Hast du nicht seinen Hals bemerkt?«
    Das hatte Tommaso nicht, denn er hatte ein altes Stück Castelmagnokäse gefunden, an einer Ecke bereits von bläulichem Schimmel bedeckt. Verschlungen hatte er es dennoch. Jetzt stampfte er zur Leiche. Und besah sich den Hals. Genauer:die Wunde, welche nicht mehr viel davon übrig gelassen hatte. Der ehemals weiße Kollar des Priesters war zerfetzt und blutdurchtränkt. Spritzer fanden sich überall im Raum, der Körpersaft musste geradezu herausgeschossen sein.
    »Mord«, sagte Tommaso. »Wer es einmal gesehen hat, erkennt es immer wieder.«
    »Ach«, erwiderte Amadeus.
    »Jawohl«, sagte Tommaso.
    »Begraben die Menschen ihre Toten denn nicht?«
    »Der ist noch ziemlich frisch, das riecht Tommaso gleich. Sie haben ihn noch nicht gefunden. Wird aber nicht mehr lange dauern. Die Polizei wird ihn suchen, um ihn zum Sindone zu befragen. So was machen sie immer nach Diebstählen. Alle Menschen, die etwas wissen könnten, werden aufgesucht. Und dann: Fragen, Fragen, Fragen.« Er verscheuchte mit der Pfote kleine Fliegen von der Leiche, die ihm die Sicht auf die riesige Wunde versperrten. Sie zog ihn magisch an. »Tommaso hasst dieses Geschmeiß, selbst im Winter nerven sie.«
    Amadeus’ Magen krampfte sich zusammen, und er sah sich ängstlich um. Wer den menschlichen Wächter des Sindone tötete, der würde auch vor ihm nicht haltmachen. Er musste ihm zuvorkommen. Nun hatte er eine Spur. Sie hieß Tommaso.
    »Woher wusstest du von der Leiche?«
    Stolz hob die Bulldogge ihr massiges Haupt. »Zwei Männer gingen hinein, nur einer kam heraus. Tommaso weiß Bescheid.«
    »Und welcher Hund ging mit?«
    »Kein Hund. Nur Menschen.«
    »Sieh doch hin! Menschen beißen einander nicht in den Hals.«
    Tommaso schnupperte wieder an der Leiche. »Tommaso riecht hier kein Tier. Aber die Wunde, der Biss, die Zähne ...«Er ging noch näher heran, schaute sich den Hals von verschiedenen Winkeln aus an. »Das war wirklich ein Tier. Aber kein Hund. Ein Wolf!«
     
    Der Conte hatte Giacomo einen Platz zum Schlafen und etwas zu essen angeboten. Er ließ sich nicht lumpen für seinen neuen Freund. Maria Grazia blieb die Nacht über im Borgo. Die bullige Hündin hatte dem Conte lange nachgesehen, als dieser den Unterschlupf verließ. Ihre Augen tief wie Brunnen. Als sie sich danach umdrehte, wirkte sie viel kleiner, fast zusammengefallen. Sie ließ sich auf das feuchte alte Sofa fallen, welches in der Ecke vergessen worden war.
    »Hast du keine Menschen?«, fragte Giacomo.
    »Früher zwei.«
    »Gute?«
    »Nein, aber meine. Ein Mann und eine Frau. Sie redeten nicht viel miteinander, und wenn, dann schrien sie sich an. Ständig saßen sie vor dem Fernseher. Wäre ich nicht gewesen, sie hätten keinen Schritt vor die Tür getan. Durch mich sind sie jeden Tag an die frische Luft gekommen. Doch irgendwann wurde es ihnen zu viel und sie haben mich ausgesetzt.«
    »Und der Conte hat dich aufgenommen?«
    Sie schloss die Augen und sagte nichts mehr.
     
    Der nächste Tag bestrich das winterliche Turin mit goldenem Sonnenschein. Wie Honig ergoss sich das warme Licht über die weißen Weiten, tropfte köstlich von den Ästen, sammelte sich in den Senken.
    Giacomo mochte es, wenn alles so lecker aussah.
    Der alte Trüffelhund begab

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