Blut & Barolo
Fragen, die Daisy danach beantworten musste, ihre Brüder zogen sich derweil zurück, verstauten die nicht verzehrte Beute. Giacomo wollte mehr wissen über diesen Gott und das Leben nach dem Tod. Bisher hatte er gedacht, alles würde enden, wenn das Herz aufhörte zu schlagen, die Seele würde kurz Abschied nehmen, dann verblassen und wieder eins mit der Natur werden. Das schien ihm ganz natürlich zu sein. Alles verging. Wenn eine Trüffel aus der Erde gerissen und gegessen wurde, dann existierte sie nicht mehr. Warum sollte es ihm anders ergehen als der grandiosesten aller Speisen?
»Die Menschen können den Himmel gern allein haben. Es wird ihn eh nur für Menschen geben, denn diesen Gott habe ich noch nie gesehen. Die Menschen teilen ihn bestimmt nicht mit uns. Sie geben ja nicht einmal von ihrem guten Essen ab.«
Daisy blickte hoch in den Himmel, als ließe sich dort schon ein Zipfel Ewigkeit erahnen und nicht nur faserige Zirruswolken. »Wenn das Paradies den Menschen vollkommenes Glück beschert, wie soll das ohne uns gehen? Wenn Menschen ihre Hunde wirklich lieben, kommen wir nach dem Tod zu ihnen.«
»Genug Blödsinn geplappert!«, fuhr Dagobert dazwischen. »Es ist Zeit für die Prüfungen. Du bist ein Lagotto, Giacomo, also einer von uns. Aber erst musst du beweisen, dass du in Turin überleben kannst und keine unnütze Last bist.«
»Die Straße der Schemen?«, fragte Daisy ängstlich.
»Die Straße der Schemen«, antwortete Dagobert. »Wie wir alle.«
Spaß klang anders.
Amadeus hatte noch nie einen toten Menschen gesehen. Erst jetzt, wo er darüber nachdachte, wurde ihm klar, dass sie genauso sterben konnten wie Hunde und aufhörten zu reden, zu essen – und zu atmen. Verunsichert blickte Amadeus zurück zum blutüberströmten Zimmer. Still trottete Tommaso hinter ihm her.
Hoffentlich war der zweite Mensch noch nicht tot, der mit dem Wärter den Glockenturm bestiegen hatte – und der Wolf, welcher mitten in Turin weilen musste!
Amadeus brauchte Hilfe. Viel davon. Doch er kannte nur wenige andere Hunde, seine Meute war stets unter sich geblieben, mit gewöhnlichen Straßenkötern wollte man nichts zu tun haben, und Leinenhunde erschienen ihnen als Sklaven der Menschen.
Nur ein weiterer Hund fiel ihm ein. Als Welpen waren sie Spielgefährten gewesen, das heißt, Amadeus hatte auf ihm herumturnen dürfen. Der alte Ugo hatte dann immer so getan, als ob ihn das Gewicht des federleichten Pharaonenhundes schrecklich schmerzte. Mit seinen Brüdern hatte er oft um Ugo herumgetollt, ihn angeschubst und auch gezwickt. Der aber ließ sich durch nichts beirren. »Ihr dummen kleinen Pelzknäuel«, hatte er immer gesagt, »das Leben, es wird euch die Späße schon noch austreiben, ja ja, das tut es immer.«
Mehr als einmal hatte der Mischling sein Fressen mit Amadeus geteilt, wenn dieser zur Strafe wieder einmal nichts erhalten hatte. Ugo hatte kurze stempelige Beine, einen Körper wie ein Ciabatta, eine platte Schnauze und lange Ohren. Er strolchte häufig in den Giardini Reali herum, wo Touristen ihm ab und an etwas zuwarfen. Doch Ugo besaß keinenfesten Platz in Turin, er streunte umher, von niemandem beachtet. Umso zufriedener war Amadeus, als er ihn nun auf der Piazza San Carlo entdeckte. Er ließ den schlafenden Freund aus Welpentagen ruppig von Tommaso wecken.
»Steh schon auf, Ugo. Du wirst gebraucht!« Der Pharaonenhund stellte sich direkt vor ihn.
»Ach was«, antwortete Ugo. »Wer sollte schon von mir etwas wollen. Bist du das, Amadeus?« Er hob den müden Kopf. »Ja, guter Junge. Und ...« Er erblickte Tommaso und schaute ernst zurück zu Amadeus. »Was hast du mit dem da zu schaffen, also nein«, flüsterte er ihm zu. »Der ist keiner, nein, keiner wie wir, Amadeus. Hat keine Seele, dieser Tommaso. Halt dich fern von ihm! Oh, was ist das?« Ugo erspähte eine Maus und flink schlug er mit einer Pfote auf den Schwanz des Nagetiers. Er ließ wieder los, hielt sie dann abermals fest. Es bereitete ihm augenscheinlich Freude.
Tommaso biss die Maus entzwei.
»Das Sindone ist gestohlen worden, und du musst mir helfen, es zu finden.«
»Nein, nein, ich bin zu alt für so was.« Ugo schüttelte langsam seinen Kopf. »Ich such gar nichts mehr, ich finde nur noch. Viel Glück, mein Junge! Ich schlaf jetzt weiter, weißt du, das mach ich im Winter am liebsten. Der Schlaf, er ist ein guter Freund, wenn die Pfoten nicht mehr wollen.«
»Du wirst mir helfen. Das Sindone muss wieder an seinen
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