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Blut & Barolo

Titel: Blut & Barolo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Sebastian Henn
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Platz, sonst wird dieser Winter niemals aufhören, sonst werden noch mehr Menschen sterben!«
    »Was redest du da, Amadeus? Was hat denn das eine mit dem anderen zu tun?« Ugos Stimme war immer noch müde, die Worte flossen langsam.
    »Gemeinsam mit Tommaso wirst du jeden einzelnen Straßenhund dazu bringen, das heilige Tuch zu suchen. Sowie den Mann, der in der Nacht beim Wächter im Glockenturm war, und den Wolf.«
    »Was für einen Wolf? Wir sind hier in Turin! Hier gibt es keine Grauröcke. Eher siehst du, na ja, einen Elefanten tanzen.«
    Tommaso machte einen Satz. Wie ein Windstoß war er über Ugo. »Du tust, was man dir sagt, Matschfell! Wer Amadeus nicht gehorcht, bekommt Tommasos Fang zu spüren! Darf Tommaso zubeißen, Amadeus? Dem muss Benimm beigebracht werden!«
    Amadeus’ Stimme wurde weich und gütig. »Keiner kennt die Stadt wie du, Ugo, keiner weiß so gut, wo die Verstecke liegen. Wirst du mir helfen?«
    Tommaso knurrte, sein ganzer Körper vibrierte.
    »Aber, Amadeus ... ?«
    Der alte Ugo kam nicht dazu, seine Frage zu beenden. Tommasos Zähne bohrten sich in seinen Rücken, wo er seit Jahren nichts mehr gespürt hatte. Nun blitzte der Schmerz durch seine mürben Glieder. Ugo machte einen Buckel und fauchte. Tommaso wusste genau, was er tat, wo er Leid zufügen konnte, ohne bleibende Schäden zu hinterlassen. Er wartete nur darauf, eifrig weitermachen zu dürfen – obwohl er nun erst einmal in den eisverkrusteten Schnee biss, um den Geschmack von Ugos pelzigem Fell wieder loszuwerden.
    »Was ist nur aus dir geworden, Amadeus?«, fragte der Streuner und besah sich die Wunde.
    »Ich werde Turin sein Herz wiedergeben! Ein letztes Mal wiederhole ich meine Frage: Wirst du mir und der Stadt helfen?«
    Der alte Ugo erhob sich und leckte dem Pharaonenhund über den Kopf. »Ja, Amadeus. Aber deine Augen musst du selber auftun. Komm, ich zeig dir was. Aber halt deinen Beißer kurz.«
    Tommaso knurrte zufrieden. Die Angst in Ugos Stimme ließ seine stolze Brust noch weiter anschwellen – fast so,als läge ein Luftballon unter dem Fell der Englischen Bulldogge.
    Ugo ließ sich Zeit beim Gehen, Hetze schien ihm fremd, auch das gelegentliche Antreiben durch Tommaso beschleunigte seinen Gang nicht. Ugo hielt sich fern von den gestreuten Wegen, dessen Salz sich in den Pfoten festsetzte, und von dem frischen Schnee, der sich so leicht im Fell verfing. Das langsame Tempo kam Amadeus entgegen, der nun durch Straßenzüge ging, die ohne erkennbare Ordnung aufeinanderstießen, mit jeder neuen Ecke änderte die Stadt ihr Gesicht. Da Amadeus sich stets in Sichtweite des Duomo aufgehalten hatte, war sein Orientierungssinn verkümmert.
    Er war froh, als Ugo an einem vergitterten Mülleimer hielt, eine Zeitung herauszog und mit der Schnauze auf die Titelseite deutete, die vom eisigen Wind hin und her geschlagen wurde, so dass es fast aussah, als würden sich die Fotos bewegen. Die größten beiden zeigten das Sindone und einen Hund. Es war ein alter Lagotto Romagnolo. Der Blick des Lagotto auf dem Foto wirkte scharf und klug.
    »Wer ist das?«, fragte Amadeus.
    »Er muss etwas mit dem Tuch zu tun haben und sehr wichtig sein. Wenn du dich umschaust, siehst du ihn überall.«
    Amadeus schaute auf. Warum waren ihm all diese Plakate entgangen?
    »Fragt jeden zuerst nach ihm. Ich will diesen Lagotto. Und ich will ihn lebend! Kein Blut soll mehr fließen.«
     
    Freiheit roch grandios, dachte Niccolò. Frisch wie Ziegenkäse und scharf wie Peperoni. Das kleine Windspiel konnte nicht genug davon bekommen und schnappte beim Rennen nach diesem Duft. Umzusehen brauchte Niccolò sich nicht. Es gab keine Verfolger. Nur die Wolken am Himmelschienen ihm hinterherzujagen. Ein Sturm zog auf, und er trug scharfe, kantige Stücke gefrorenen Wassers mit sich. Niccolò spürte es. Die weißen Berge des Himmels würden sich über der Stadt versammeln und ihre Fracht entladen.
    Doch dann wäre er längst wieder in Isabellas Armen, seinen Kopf an ihren Bauch gelehnt, der sich langsam hob und senkte. Sie würde das Lied singen, welches er so mochte. »Lo ho una zia che abita a Forlì / che quando va a ballare con il cappello fa così / così così così / con il cappello fa così / così così così. « Ihre Stimme so sanft, die Tonleitern so spielerisch wechselnd, dass er sich wieder wie ein Welpe vorkam und ihm bewusst wurde, wie wunderbar es war, bei einem Menschen geborgen zu sein, völlig behütet, und sich um nichts mehr sorgen zu

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