Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Blut & Barolo

Titel: Blut & Barolo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Sebastian Henn
Vom Netzwerk:
Museum. Direkt daneben liegt unser Hauptversteck. Sie ist wunderschön, oder? Die Mole überragt alles andere in Turin. Irgendwann möchte ich einmal bis zur Spitze laufen, um die ganze Stadt zu überblicken, um alles wie ein Vogel zu sehen.«
    »Gut wiederzufinden«, sagte Giacomo anerkennend.
    Der Weg zur Superstrada war dank der Verkleidung sehr entspannt. Giacomo genoss die Tarnung und tat so, als würde er seinen Herrn suchen. Er erntete Blicke voller Mitgefühl. Doch es wurden immer weniger, denn die Zahl der Menschen auf den Bürgersteigen nahm ab, je weiter sie sich vom Zentrum entfernten. Als die Straße vier Spuren aufwies und die Wagen nur mehr Schlieren waren, hielt Dagobert an. Am Rand standen riesige Gebäude, die aussahen wie Schuhkartons. Es war dieselbe Straße, die Giacomo von der Ladefläche aus gesehen hatte, als der Fallensteller ihn in die Stadt fuhr. Sie war wie ein riesiges Messer, und die Wagen schärften fortwährend ihre Klinge.
    »Hin und zurück.«
    Die vorbeifahrenden Autos brummten nicht, sie zischten.
    »Warum macht ihr es euch so schwer?«, fragte Giacomo. »Wenn ihr mich loswerden wollt, hättet ihr das doch auch im Versteck erledigen können.«
    Donald trat hervor. »Wir mussten da alle durch.« »Auch zur Mittagszeit?«
    »Geh«, sagte Dagobert. »Beweise dich!«
    Na gut, dachte Giacomo. Es waren schließlich nur Autos. Sie konnten nicht beißen. Es waren zwar viele, und sie waren schnell, doch es blieben Rostlauben. Wenn er auf die Straße sprang, würden sie ihn in die Luft werfen wie Katzen eine Maus, würden mit ihm spielen, das aus ihm strömende Blut ignorieren, irgendwann das Interesse verlieren und ihn schließlich platt fahren.
    Aber sie würden ihn immerhin nicht beißen.
    Giacomo konzentrierte sich auf die erste Spur, wo die Wagen am langsamsten fuhren. Auch sie sahen zwar schneller aus als Falken im Sturzflug, doch das war immer noch besser als die Raser auf den nächsten Streifen. Deren Tempo glich Düsenjägern. Giacomo wartete ab, trat schließlich ganz ruhig auf die Fahrbahn und blieb stehen.
    Dann holte er tief Luft.
    Manche Pläne gingen nicht auf. Es gab keine absolute Gewissheit. Doch Giacomo war sich diesmal ziemlich sicher, denn er hatte die ängstlichen Augen des schnauzbärtigen Mannes gesehen, der hinter dem Steuer seines alten Wagens saß, im Schlepptau ein Haus auf Rädern.
    Zuerst quietschten die Bremsen, als zöge jemand mit voller Wucht Kreide über eine Tafel, dann krachte es. Mehrmals. Fluchen war zu hören. Und Hupen.
    Aber kein Wagen bewegte sich noch.
    Und Giacomo war nicht einmal touchiert worden. Gemächlich spazierte er über die vier Spuren und wieder zurück.
    »Erledigt«, sagte er zu den staunenden Lagottos. »Sonst noch was?«
    Daisy schmiegte sich an seine Flanke. »Wir sind alle gelaufen wie die Eichhörnchen – aber so ist es viel besser.«
    »Jetzt sollten wir schleunigst verschwinden«, sagte Donald. »Sonst lynchen sie uns nämlich.«
    Es wäre nicht weit zurück ins Zentrum Turins gewesen, hätte Dagobert den geraden Weg gewählt und nicht ständig wie ein Hase Haken geschlagen. Doch Giacomo wusste, warum er es tat. Hundefänger lungerten in der Stadt herum wie Eisverkäufer im Freibad. Er selbst wäre ihnen mehrmals in die Arme gelaufen, doch Dagobert schien einen siebten Sinn für sie zu haben, einer Fledermaus gleich, die selbst im Dunkeln an keine Wand stieß. Giacomo wurde mit einem Mal bewusst, dass Turin eine Stadt des Sommers war. Für diese Jahreszeit war sie errichtet worden, mit ihren breiten Arkaden, ihren engen, stetig schattigen Straßen und den großen Achsen, die den kühlenden Alpenwind einluden. Selbst jetzt im Winter ließen die meisten Turiner aus Gewohnheit ihre Rollläden herunter, und einige Balkone waren von Plastikfolie umschlossen, so als stünden sie unterQuarantäne. Der Winter gehörte nicht hierher, er war ein Eindringling. Der Sommer war in Turin zu Hause.
    Die Piazza, auf der sie schließlich anhielten, unterschied sich durch nichts von den vielen anderen Turins. Autos, übersät mit Dellen und Kratzern, parkten an jeder erdenklichen Stelle, Häuser ragten im Karree gen Himmel, es wurde lautstark geredet und gefeilscht. Nur eine Sache war anders. Hier gab es eine Menschenschlange, die vor einem lindgrünen Gebäude mit großen Schaufenstern ausharrte. Wenn Hunde etwas wollten, dachte Giacomo, stellten sie sich nicht brav in Reih und Glied. Sie stürzten sich einfach auf das Gewünschte. Die

Weitere Kostenlose Bücher