Blut & Barolo
müssen.
Jetzt musste er nur noch nach rechts!
Oder links?
An der Brücke, hatte Rory gesagt. Doch hier stand keine Brücke, weit und breit war kein Fluss zu sehen. Der musste doch zu finden sein! Niccolò erblickte einen Schäferhund. Schnell huschte er um die dicken Fesseln von dessen Menschenfrau und lief neben ihm her. Die Hundebesitzerin beugte sich herunter, mit der Hand vor Niccolòs Gesicht herumschwenkend.
»Geh weg, du Straßenköter. Scher dich fort von meiner Mimi. Ksch!«
»Wo ist denn hier die Brücke?«, fragte Niccolò unbeirrt. »Du bist aber ein Süßer«, antwortete die Schäferhündin. »Ja?« Niccolò war erstaunt. »Findest du?«
»Aber wie.«
»Und verrätst du einem ... Süßen wie mir, wo die Brücke ist?«
»Es ist mir ein Genuss! Einfach die Straße runter, und wenn es nicht mehr weitergeht, rechts. Ich spaziere da jeden Sonntagmorgen lang. Sie lässt mich dann auch von derLeine. Für eine ganze Weile. Wenn du verstehst, was ich meine.«
Niccolò hatte keine Ahnung. »Schön für dich.«
»Es kann auch sehr schön für dich werden. Bis Sonntag!«
Die Frau zerrte an der ledernen Leine. »Weg von dem verlausten Ding! Und heute Abend wirst du gebadet.« Mit einem Röcheln verschwand die Schäferhündin – verführerisch ihr Hinterteil schwingend.
Niccolò rannte zur Brücke und bog links ab, suchte Fenster für Fenster nach Gittern ab, doch keines schien die Menschen im Inneren einzusperren.
Hier gab es keine Questura. Und keine Isabella. Die Stadt hatte wieder einmal ihre Häuserreihen wie Kulissen vor ihm verschoben, die Straßen in ein Labyrinth ohne Ausgang verwandelt, Isabella darin verschließend wie einen Schatz, den sie nie wieder preisgeben wollte.
Doch Niccolò ahnte, wo er mehr in Erfahrung bringen konnte. Wenn Turin auch nur ein bisschen wie Alba war, dann würden sie in der Unterwelt, in den Abflussrohren und Kanälen der Stadt leben. Im Dunkel, das sie mit den Ratten und Schaben teilten. Ihre Körper waren ideal geformt für die niedrigen Gänge: Dachshunde. Sie mochten aussehen wie Nackenrollen, doch Niccolò kannte keine härteren Kämpfer als sie.
Allerdings waren sie auch sehr eigen.
Zumindest die Dachshunde Albas. Vielleicht war ja die Population Turins großstädtischer, weltoffener? Er würde es nur herausfinden, wenn er in die Unterwelt hinabstieg. Doch die Gullydeckel waren nicht nur verschlossen, sie waren vereist. Er bräuchte Kraft wie ein Traktor und statt Pfoten Stemmeisen, um sie hochzuheben. Wie um alles in der Welt gelangten die Dachshunde nach Beutezügen in ihr Revier zurück? Es musste einen Eingang geben. Dochsosehr er in den nächsten Stunden auch durch Turin rannte, so viele Deckel er in Augenschein nahm, keiner ließ sich mit einem Schubser seiner Schnauze zur Seite schieben. Er bemerkte gar nicht, dass er immer im Kreis lief. Erst als er die Ponte Umberto I. wiedererkannte, nahm er eine andere Route, und gleich hinter der Piazza San Carlo stieß er auf die Piazza C. L. N. mit den zwei Brunnen, die den Po und die Dora darstellten, zwei der vier Turiner Flüsse.
Daneben tat sich gerade die Erde auf.
Menschen in Overalls öffneten einen Gully. Sie hatten ihren Transporter neben dem Schacht geparkt. Zwei dreieckige Schilder markierten die Gefahrenzone, aber keine Absperrbänder, keine Gitter. Niccolò brauchte nur abzuwarten. Nacheinander stiegen drei Männer in die Tiefe, ausgerüstet mit Helmen, an denen vorne eine Lampe steckte. Sie riefen sich ständig etwas zu und lachten. Es half vermutlich gegen die Dunkelheit.
Als sie endlich alle im Schacht verschwunden waren, sprang Niccolò in das Gullyloch. Er hüpfte von Kopf zu Kopf, ignorierte das Fluchen und die nach ihm schlagenden Hände, drehte sich gewandt im Flug und landete schließlich in stinkendem Wasser, das ihm fast bis zum Bauch reichte. Wegen der hinabsteigenden Kanalarbeiter drang nur wenig Licht in den Schacht, die Finsternis blieb nahezu unangetastet. Doch Niccolò konnte erkennen, dass der Gang hoch genug für ihn war, und rannte hinein. Die Richtung war völlig egal. Er musste niemanden finden. Die Dachshunde würden das für ihn erledigen.
Nur an den elenden Geruch sollte er sich schnell gewöhnen.
Mit der Zeit sank die Decke bedrohlich herab. Niccolò konnte es nicht sehen, doch er hörte, wie der Hall seiner Schritte sich immer rascher spiegelte. Es schien hier noch dunkler zu sein als in der Kanalisation Albas – und dort wares bereits so finster, dass er nicht
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