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Blut & Barolo

Titel: Blut & Barolo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Sebastian Henn
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einmal seine Schnauzen- spitze hatte sehen können. Es war hier so, als kröche die Schwärze ihm unter das Fell, um seinen Körper im Innersten zu verdunkeln. Niccolò tat trotzdem einen Schritt nach dem anderen. Irgendwann war jedwedes Licht fort. Wie lang er dem leise fließenden Abwasser schon folgte, wusste er nicht, doch plötzlich hörte er eine Stimme.
    »Was willst du in unserem Reich, Windspiel?«
    Wie konnten sie bloß wissen, dass er ein Windspiel war? »Durch deine Schritte und deinen Geruch hast du dich verraten.«
    Woher wussten sie, was er dachte?
    Niccolò wartete. Doch diesmal kommentierten sie seine Gedanken nicht.
    »Ich bin Niccolò, ein Freund der Dachshunde Albas.« »Dort leben keine wahren Dachshunde.«
    »Verweichlicht sind die!«
    »Essen zu viel Pizza und zu wenig Ratten. Das ist verdammt schlecht für die Knochen.«
    »Lässt die Beine total schrumpfen.«
    Die Dachshunde redeten in einem atemberaubenden Tempo. Ihre Stimmen hallten, kamen von überall und nirgends.
    »Er ist bei uns eingedrungen!«
    »Noch nie zuvor hat uns ein Windspiel belästigt.«
    »Gibt hier auch wenig Wind.«
    »Außer wenn Striezel pupst!«
    »Verdammich, ja!«
    Sie lachten schallend, es dröhnte im Kanal.
    »Schnauze halten! Wir bringen ihn jetzt zum Kleinen Stinker. Der soll entscheiden.«
    »Wer ist der ... Kleine Stinker?«, fragte Niccolò, die Angst in seiner Stimme unterdrückend. Lebte etwa ein Iltis in der Unterwelt Turins?
    Doch er bekam keine Antwort.
    Dafür bohrte sich bereits die nächste Frage in sein Hirn. Gab es auch einen Großen Stinker?
     
    Das Heu des Unterschlupfs schien mehr zu verbergen, als Giacomo vermutet hatte. Daisy schob die trockenen Halme mit ihren Pfoten so zärtlich beiseite, wie er selbst die Erde von den Trüffeln strich. Ein Schatz musste sich darunter verbergen.
    »Schau«, sagte sie.
    Giacomo trat neben sie und sah ein großes Stück Kohle auf dem lehmigen Boden liegen und eine Leine mit viel zu großem Halsband, aus dem selbst ein Lagotto problemlos entschlüpfen konnte. Es sah neu aus, das dünne Leder weiß, einige schimmernde Steine waren darin eingelassen, der Verschluss glänzte ohne Rost und Dreck.
    »Wo habt ihr das her?«
    »Senk einfach den Kopf in die Mitte des Bandes, ich zieh es dann mit meinen Zähnen bis zu deinem Hals.« »Warum?«
    »Vertrau mir!« Sie schaute ihm nicht in die Augen, sondern starrte verlegen auf den Boden. Die Hündin war viele Jahre jünger als Giacomo, und er verstand die kleinen Zeichen nicht, welche sie ihm gab. Sie behandelte ihn nicht wie ein verglühendes Feuer, sondern so, als seien noch Flammen in ihm.
    »Wenn ich hier jemandem traue, dann dir.«
    »Beeil dich«, sagte Daisy.
    Giacomo senkte den Kopf und spürte, wie das Halsband über Ohren und Nacken glitt.
    »Und jetzt reib deine Stirn an der Kohle.«
    »Willst du dich über mich lustig machen?«
    »Ich dachte, du vertraust mir?«
    Das hatte er gesagt, dachte Giacomo. Er fuhr mit festemDruck an dem groben Stück vorbei, spürte, wie Krümel sich im Fell verfingen. Immer wieder trieb ihn Daisy an, noch mal über die Kohle zu streichen.
    Ihre Brüder standen in der engen Gasse Wache und beobachteten die Hauptstraße. Ihre Körpersprache verriet eine Mischung aus Angst und Abenteuerlust. Ihre Schultern wogten, als würden sie von Wellen rhythmisch emporgehoben. Dann drehte sich Dagobert um und nickte seiner Schwester zu.
    »Wir müssen«, flüsterte sie Giacomo zu.
    Erst auf der Straße begriff dieser, wofür das alles gut war. Zwar fiel er auf, sogar mehr noch als vorher. Doch niemand versucht ihn einzufangen. Er war nicht mehr der streunende Lagotto des Plakates, er war ein ausgebüxter Leinenhund mit schwarzem Streifen auf der Stirn. Für Menschen sahen alle Hunde einer Rasse gleich aus – wenn ihr Fell sich nicht stark unterschied.
    Er war nun ein anderer Hund. Nach diesem wurde nicht gesucht. Durch die Leine und das bisschen Kohle konnte er sich in der Stadt ungestört bewegen. Er war wieder frei.
    Als Giacomo sich umdrehte, erhob sich hinter ihm ein breiter Turm mit einer gewaltigen Kuppel und einer langen Spitze. Irgendetwas schien mit den Proportionen nicht zu stimmen, das Dach sah aus, als sei es von einem riesenhaften Gebäude abgetragen worden, als fehle der komplette Unterbau. Es erinnerte Giacomo an einen Bienenhintern mit ausgefahrenem Stachel. Daisy bemerkte seinen Blick.
    »Das ist die Mole Antoniella. Ursprünglich sollte es eine Kirche werden, aber jetzt ist es ein

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