Blut & Barolo
stärksten und schnellsten ergatterten die größten Brocken. Menschen erstaunten ihn doch immer wieder.
Kein Schild hing über dem Laden, kein Name war zu lesen, eine Auslage gab es auch nicht, hinter den großen Fenstern hingen nur schlichte weiße Gardinen.
Doch als jemand die Tür öffnete, um hinauszutreten, roch Giacomo, was die Begierde so weckte. Frisches Fleisch.
»Er hasst Hunde«, sagte Dagobert leise, als hätte er Angst, der Metzger würde ihn hören. »Und er spürt, wenn wir uns nähern. Kein Hund Turins traut sich mehr hinein, denn er schlägt sofort mit dem Hackbeil zu. Seine Bistecca, Costolette und Cotechini sind phantastisch. Ein Fest, Giacomo, das du uns bescheren wirst.«
»Klauen soll ich?« Dachten sie etwa, ein Hund aus der Langhe hätte das nie nötig gehabt? »Ist schon eine Weile her, aber das verlernt man nicht. Nur langsamer wird man mit der Zeit.«
Giacomo verspürte keine Angst, als er schließlich in die Metzgerei trat. Denn er hatte dafür gesorgt, dass seine Anwesenheit völlig legal war. Lange hatte er warten müssen, Dagobert war bereits unruhig geworden, doch dann ergab sich die Gelegenheit. Giacomo überquerte die Piazza, nahmdas Ende seiner Leine ins Maul und legte es in den Korb der alten Dame. Sie bemerkte es nicht, hatte genug damit zu tun, die Tür des Geschäfts zu öffnen. Diese ging nach außen auf. Sehr gut für die Flucht!
Drinnen angekommen, wurde Giacomo von den köstlichen Düften überwältigt. Wie Fleisch, Gewürze, Kräuter und Blut hier vermählt wurden, verriet eine Künstlerhand. Die köstlichen Salamis an der Decke verlangten geradezu danach, gefressen zu werden. Die Schenkel rochen saftig und schienen so frisch, als wären sie am Morgen noch über die Weide getrabt. Der Metzger stand hinter dem Tresen, das Haupt erhoben wie ein König. Hager wirkte er, die Haare am Kopf waren kurz wie die Borsten eines Schweines. Die Ärmel der weißen Schürze hatte er aufgerollt, so dass seine sehnigen Unterarme zu sehen waren. Ernst und stolz blickte er, schien jeden Kunden zu mustern und zu entscheiden, was dieser kaufen durfte. Bei manchem Wunsch nickte er, dann schüttelte er wieder entschieden den Kopf. Preisschilder existierten nicht. Die Menschen zahlten, was verlangt wurde.
Es war der Himmel für jeden Fleischfresser – doch die Hölle für jeden Dieb. Denn die Würste hingen zu hoch, um sie mit einem Sprung erreichen zu können, und hinter die Theke zu laufen wäre Wahnsinn gewesen. Die Messer lagen auf den Platten direkt hinter dem Metzger. Sie waren so scharf, dass Giacomo zu hören meinte, wie die Luft sich daran schnitt. Ihm musste schnell etwas einfallen.
Liebevoll wie bei einem Geschenk packte die Verkäuferin ein perfekt mit Fett durchwachsenes Nackensteak in Wachspapier und legte es auf den Tresen. Langsam schob Giacomo sich vor, schaute unschuldig und nur wenig interessiert, doch als die Hand der Kundin das Paket in die Einkaufstasche stecken wollte, schnappte er zu. Und brach wie eine Lawine hinaus, alles zur Seite drückend, was ihm imWeg stand, den Schädel gegen die Tür rammend und dann über den Bürgersteig zur anderen Seite der Piazza jagend, als stehe sein Schwanz in Flammen. Niemand schrie ihm nach, es war alles viel zu schnell gegangen.
Jetzt hatte Giacomo keine Puste mehr – aber dafür unheimlichen Appetit.
Doch wie besprochen teilte er seinen Schatz, nachdem sie sich in eine einsame Gasse zurückgezogen hatten. Giacomos Herz blutete, als er sah, wie achtlos die anderen ihre Stücke hinunterschlangen. In Alba hätte er solche Prachtstücke niemals gefressen, ohne den Geschmack von Barolo im Maul. Am besten aus der Gegend um La Morra. Den hätte das köstliche Schwein verdient!
Ach, er hatte schon viel zu lange keinen Wein mehr getrunken ...
»Noch eine Prüfung«, sagte Dagobert, nachdem er den letzten Bissen geschluckt hatte. »Die letzte und die schwerste. Es ist nicht weit. Folge mir.«
Diesmal gingen sie am Duomo vorbei, die große Kirche mit ihrem riesigen Glockenturm beeindruckte Giacomo sehr. Dort sprach Dagobert kurz mit einem herbeieilenden Streuner und änderte danach ihren Weg. Der Trüffelhund wurde das Gefühl nicht los, dass der stärkste der Lagottos unglücklich über seine Erfolge war. Als Daisy sich etwas zurückfallen ließ, tat Giacomo es ihr gleich. »Was hat er?«
»Du verrätst es nicht weiter? Vor allem Dagobert nicht, oder?«
»Warum sollte ich?«
»Bisher hat keiner die beiden Prüfungen ohne
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