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Blut & Barolo

Titel: Blut & Barolo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Sebastian Henn
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mittlerweile ein Plan dieser so geometrischen Stadt. Er stellte sich vor, auf dünnem Glas zu gehen, als er das Versteck der Lagottos verließ und auf die leergefegte Straße trat. Noch einmal blickte er zurück, die Körper seiner neuen Meute bewegten sich nicht. Aneinandergeschmiegt träumten sie, vielleicht von der bevorstehenden Zeit zu viert.
    Giacomo bog um die Ecke in eine schmale Gasse. Überall standen Autos. Darunter konnte er sich verstecken – doch wenn ein Fänger erschien, existierte kein Ausweg. Die Gitter der Geschäfte waren bis zum Boden heruntergezogen, die Hofeingänge verschlossen. Er musste Augen wie Ohrenaufhalten, vor allem aber seine Nase. Denn es war windstill. Perfekt! Die Leine im Maul haltend, damit sie nicht laut über den Beton schleifte, trabte Giacomo in Richtung Duomo. Der Schall seiner Schritte hallte in den Arkaden wie in einem Kirchenschiff, und Giacomo entschied, lieber mitten auf der Straße zu rennen, wo um diese Zeit kaum Wagen fuhren.
    Er merkte gar nicht, wie seine Schritte langsamer wurden und ihn vor ein Gebäude trugen. Zwei Stangen ragten hervor, die Fahnen hingen schlaff herunter, großzügig gefüllte Weingläser darauf. Es war ein prachtvoller Bau, zwischen den beiden Säulen am Eingang befand sich ein Glasportal, wie ein roter Teppich rollte edelster Rotweinduft heraus, mit einer köstlich eingewebten Lakritznote. Barolo!
    In diesem Augenblick waren all seine Gedanken an Niccolò, an Sicherheit und Vorsicht wie ausgelöscht. Stattdessen zog es ihn magisch hinein, zu den gutgekleideten Menschen und goldenen Kronleuchtern – die wie Sonnen die Szenerie erleuchteten. Eine große Wendeltreppe führte hinauf, Giacomo nahm sie in leichtem Trab. Die Menschen waren so sehr mit sich beschäftigt, ihre Augen klebten förmlich an Gläsern und Katalogen, dass sie ihn nicht bemerkten.
    Giacomo diese allerdings auch nicht.
    Der Duft intensivierte sich, so als bestünde die Luft einzig und allein aus Barolo. Dieser trockene Rotwein aus der edlen Nebbiolo-Traube zeigte sich in der Jugend oft ungeschlacht, doch mit dem Alter verwandelte er sich in einen Hochgenuss. Giacomo erschnupperte Kirsche, Pflaume und unzählige Kräuter. Sein Duft war wie die Langhe selbst, gleichermaßen wild und domestiziert – und selbstverständlich mit einem Hauch Trüffel versehen.
    Am Ende der prachtvollen Treppe erwartete Giacomo ein Saal mit langen Tischreihen, darauf Wasserflaschen, Prospekthalter, aber vor allem unzählige Karaffen mit Barolo.Er sah mit einem Blick, dass alle Gebiete vertreten waren. Barolo selbst, Castiglione Falletto, Cherasco, Grinziano, La Morra, Monforte d’Alba, Novello Rossi, Serralunga d’Alba und Verduno. Doch all diese Pracht war nichts gegen das, was nun genau vor ihm stand. Eine Flasche Barolo höher als ein Auto, ach was, als zwei! Etwas Vergleichbares hatte er noch nie gesehen. Das Prachtstück wurde von etlichen Scheinwerfern angestrahlt, das Rot in der Bouteille schien dunkel wie Tinte, kein Strahl drang hindurch. Giacomo wusste, dass Wein besser reifte, je größer die Flasche war. Diese hier musste unvergleichlichen Genuss gewähren.
    Doch sie war verschlossen.
    Giacomo wartete noch einige Minuten, ob vielleicht jemand mit einem riesigen Korkenzieher käme, doch dann ließ er sich von all den geöffneten – wenn auch kleineren – Flaschen hinein in den Prunksaal ziehen. Die Menschen hier mussten fraglos Könige sein, wenn sie so viele Barolos trinken durften.
    Dann hörte er es.
    Dieses schreckliche Geräusch.
    Sie spuckten. Diese Wilden rotzten den elysischen Barolo in Kübel!
    Er musste einschreiten.
    Alle Kreszenzen würde er nicht retten können, doch wenigstens die besten. Ein kleiner älterer Herr mit moderner Brille, gestreifter Krawatte und tadellosem schwarzem Sakko stand hinter dem am dichtesten belagerten Tisch. Die Etiketten seiner Flaschen waren schlicht, oben ein kleines Wappen, darunter wie handgeschrieben der Name des Weines. Diese Kreszenzen würde er vor dem Verderben retten! Und wie? Indem er sie austrank! Beherzt drückte sich Giacomo zwischen den Beinen hindurch und rammte frontal das Tischbein, ohne Rücksicht auf Verluste und Beulen. Die Karaffe mit dem verführerischsten Duft fiel über die Kante,zerschellte wie gewünscht am Boden. Giacomos Zunge schnellte fixer heraus als bei Fröschen, die Mücken fingen. Blitzschnell schlabberte er den Barolo auf, bevor zu viel des Aromas sich verflüchtigen konnte. Den unter den Gästen

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