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Blut & Barolo

Titel: Blut & Barolo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Sebastian Henn
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dein Geschäft! Das hat die alte Hexe nämlich verdient. Niemand warnt Angelo Gaja ungestraft vor der Qualität meiner Kürschnerware ! «
    Lange betrachtete Niccolò abermals sein Spiegelbild. Erst als die Ladentür aufgerissen wurde und die Besitzerin einen Schrei ausstieß, rannte er fort, die Via Roma zurück bis auf die Piazza Castello, und gleich weiter, denn dort herrschte ihm zu viel Betrieb und er schloss sich den in Richtung Piazza San Giovanni flanierenden Menschen an.
    Und plötzlich stand er vor der Treppe des Duomo. Auf dem Dach prangte ein kleines Kreuz. Direkt neben der Kirche erhob sich der Glockenturm in den türkisfarbenen Winterhimmel.
    Mit einem Mal wusste das kleine Windspiel Bescheid. Das hatte Giacomo ihm mitteilen wollen!
    Hier sollte er ihn treffen.
    Und alles würde wieder gut.
     
    Giacomo lag wie tot auf dem stacheligen Heu. Er hasste sich selbst – und das konnte er überhaupt nicht leiden. Es war deutlich besser, alle anderen verdammen zu können. Doch nun lastete der Hass wie ein schwerer Eichenstamm auf ihm und erschwerte das Atmen. Den anderen Lagottos hatte er gesagt, er sei erschöpft. Sie tollten über den Hof, rieben ihre Schnauzen im Schnee und wälzten sich darin, die Beine zum Himmel gereckt. Sie bellten und knurrten sich an. Wie groß ihre Freude war, nun zu viert zu sein!
    Es fühlte sich wunderbar an, in einer Meute aufgehoben zu sein, die Leiber der anderen beim Rennen neben sich zu spüren. Er selbst hatte dies nie zuvor erleben dürfen. Ein Trüffelhund gehörte zu seinem Trifolao. Nun stellte erfest, was das Leben noch für ihn bereithielt. Und er hatte es genossen, mit den dreien beisammen zu sein – und dafür hasste Giacomo sich nur noch mehr.
    Er hatte seinen besten Freund gebissen.
    Das musste er wiedergutmachen. Vielleicht fand sich irgendwo in Turin eine Trüffel, die er dem Kleinen zum Geschenk machen konnte?
    »Komm doch zu uns!« Daisy stupste ihn sanft an. »Du bist noch längst nicht zu alt zum Tollen!« Sie biss ihn neckisch in den Schwanz. »Komm schon, jag mich!« Sie rannte davon, aufmunternd bellend.
    Wie gern wäre er jetzt hinterhergeschossen – doch dann hätte er sich nur noch mehr verabscheut. Stattdessen schwirrte nun wieder eine dieser lästigen fetten Fliegen um ihn herum – vermutlich, weil er so gut nach Wurst roch. Ihr Summen nervte furchtbar.
    Das Firmament sah immer noch genauso eisig aus wie an den Tagen zuvor, doch die Luft trug das Versprechen des nahenden Frühlings mit sich. Die Stadt wärmte sich langsam auf, als feuere jemand einen großen Ofen im Himmel an. Vielleicht dieser Gott, von dem das Tuch stammte. Der schien ja einiges zu können. Giacomo spürte die Wärme in seinen Lenden. Der Boden würde nun aufweichen und die Trüffel ihn rufen.
    »Giacomo! Komm zu mir!«, rief Daisy sanft. Doch der alte Trüffelhund verzog sich brummend tiefer ins Heu. Warum konnte das dumme Gör ihn nicht endlich in Ruhe lassen? Er beschloss zu schlafen, bis die Nacht Turin zu ihrem Reich machte.
    Leider nervte ihn außer dicker Fliegen auch eine wichtige Frage.
    Ob Niccolò sich sein Ohr überhaupt anschauen würde? Immerhin wusste Giacomo nun, dass sein Freund lebte und sich in Turin aufhielt, ganz in der Nähe. Dadurch fühlte sichdie Stadt nicht mehr so riesig an, mehr wie ein Dorf, das zu viele Straßen besaß. Heute Nacht würde er zum Duomo gehen – und wenn er Glück hatte, wartete Niccolò dort auf ihn.
    Diese elende Fliege! Giacomo blickte sich um, als das Insekt im Anflug war, und schnappte blitzschnell zu. Sie schmeckte eklig, wie versalzen. Dafür hatte er jedoch endlich seine Ruhe. Trotzdem wäre es schön gewesen, die anderen Lagottos hätten etwas Wein erbeutet, zum Runterspülen. Wenigstens einen Barbera d’Alba. Aber sie waren ja überzeugte Wassertrinker. Die Jugend von heute!
    Irgendwann wurde es dunkel, und die anderen drei fielen erschöpft und müde neben ihm ins Heu. Schnell schliefen sie ein, doch Giacomo wartete zur Sicherheit noch etwas. Diese Minuten waren die schlimmsten. Erst als das Atmen der anderen so ruhig war, dass es kaum noch ein Geräusch verursachte, stand er aus dem knisternden Nachtlager auf. Die Leine lag gleich obenauf, doch das Stück Kohle war tief hinabgesunken. Nach ihm zu suchen war nicht nötig, denn bei Nacht sahen die Menschen eh nicht gut. Es würde schon klappen. Er durfte nur keinem Hundefänger begegnen. Der Weg zum Duomo war lang, doch einfach zu finden. In Giacomos Kopf existierte

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