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Blut & Barolo

Titel: Blut & Barolo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Sebastian Henn
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folgend, hinaus durch den größten Gang. Zurück in die Finsternis.
     
    Giacomo zuckte zusammen. Es kam ihm vor, als startete unter seinen Füßen ein Jumbojet. Jetzt spritzte Wasser aus dem Gullydeckel vor ihm. Und der Deckel bellte kurz.
    Dann wurde es wieder still. Als wäre nie etwas geschehen.
    Keinen der Passanten schien der Lärm aus der Unterwelt Turins zu irritieren. Sie gingen schwatzhaft weiter ihrer Wege. Giacomo schnüffelte am aufgespritzten Nass – es roch nach menschlichem Kot und überraschtem Hund. Merkwürdig. Doch dieses Geheimnis musste ungelöst bleiben, er setzte seinen Weg fort.
    So leer der Parco del Valentino um das Borgo war, so voller Menschen war die Via Po. Eine Ansammlung von Leibern, wie Giacomo sie bisher nur bei Ameisen gesehen hatte, die sich über ein Honigbrot hermachten. Die Menschen standen hinter hüfthohen Schutzgittern und blickten auf eine leere Straße. Sie verhielten sich ganz ruhig. Es war unheimlich. Giacomo wartete einige Zeit, um auszumachen, was der Grund dieses mysteriösen Treibens war. Zuerst passierte nichts, dann fingen die Menschen plötzlich an zu singen, setzten sich ihre Kinder auf die Schultern oder hielten sie hoch. Und das alles nur, weil ein kleines weißes Auto vorbeifuhr, rechts und links ein Fähnchen am Kotflügel, mit einem Glasdach huckepack, das aussah wie eine kantige Käseglocke. Darin saß auf einem weißen Stuhl ein weißgekleideter alter Mann mit weißen Haaren. Alles passend zum Winter. Er winkte den Menschen zu, dabei ernst, fast betroffen blickend, seine Brauen müde über den Augen hängend. Die Zuschauer waren trotzdem hocherfreut.
    Doch schnell war es vorbei.
    Als sie wieder fortgingen, trugen viele Menschen ein Lächeln auf den Gesichtern, hielten sich an den Händen oder küssten sich.
    Giacomo dagegen hatte nach dieser Begegnung unglaublichen Appetit auf Käse.
    Belustigt trollte er sich, den Weg über den vereisten Fluss unter der Ponte Vittorio Emanuele I. wählend, da die Gitteroben alles versperrten. Der alte Lagotto betrat ungern gefrorenes Wasser – schließlich wusste man nie, wo das flüssige wieder begann. Jedes Knarzen ließ ihn zusammenzucken. Flösse Wein im Po, wäre ihm eine dünne Eisdecke allerdings nur recht gewesen.
    Der Rest des Weges zu Niccolò verlief erstaunlich problemlos, denn er begegnete keinem einzigen Menschen mehr. Die Sonne wärmte die Stadt mit ihren Strahlen, der Wind spielte vergnügt in den Straßen, und die alten Häuser strahlten eine Ruhe aus, wie sonst nur knorrige Bäume es vermochten. Turin zeigte sich von seiner schönsten Seite.
    Das ließ Giacomo unruhig werden.
    Niccolò lag nicht mehr hinter dem Monument der Piazza Cavour, sondern versteckt hinter einem alten Ahornbaum, doch Giacomo erschnüffelte ihn schnell. Zwar ging nur wenig Duft von dem Windspiel aus, doch für den erfahrenen Schnüffler war es wie eine schmissige Melodie, die er selbst im größten Lärm hätte hören können.
    Niccolò sprang auf, als er ihn sah, und bewies, dass sein Mundwerk sich genauso schnell bewegen konnte wie seine Beine.
    »Der Wagen! Ich hab ihn gesehen. Tote Tiere sind da. Wir müssen hin!«
    »Hab ich auch gesehen. Aber das war bloß ein alter Mann, keine Kadaver. Und ich will auf gar keinen Fall wieder hin, da sind mir viel zu viele Leute. Warum sollten wir auch?«
    »Was?«
    »Ich dachte, wir wollten jetzt Isabella befreien.«
    »Ja, klar. Das auch. Aber der Wagen ist doch wichtig!« »Du bist so unberechenbar wie eine Elster.«
    »Ich mag Elstern. Die denken wenigstens nicht unentwegt an Wein und Fressen.«
    »Du wirst immer frecher, Kleiner!«
    »Und du immer sturer.«
    »Weiser«, korrigierte Giacomo. »Das ist das richtige Wort. Ich werde immer weiser.«
    Niccolò sah den alten Trüffeljäger nicht mehr an. »Es ist reine Notwehr! Mit so einem Zausel wie dir muss man frech sein, sonst hält man es ja nicht aus. Können wir jetzt über den Wagen sprechen? Den vom Palazzo Stupinigi?«
    »Ach, den hast du gesehen?«
    »Was dachtest du denn?«
    Irgendwann schafften sie es dann wie zwei gescheite Hunde miteinander zu reden, und machten sich anschließend auf den Weg zu Isabella. Eins nach dem anderen, wie Giacomo betonte. Mit ihr würde alles leichter gehen. Auch das Rätsel um den Wagen ließ sich dann sicher spielend lösen.
    Der Corso San Maurizio war menschenleer – dafür noch zugeparkter als sonst. Die einzige Steigerungsform wäre gewesen, die Wagen übereinanderzustapeln. Hätte Niccolò

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