Blut & Barolo
zwischen dem Pult und der Mauer hindurch. Niccolò sprang und spürte den Stein an seiner Flanke, die Fingerspitzen an seinem Kopf, doch dann nur noch Luft.
Die Landung erfolgte schnell.
Und hart.
Fast wäre er gegen den Glockenturm geknallt, doch kurz berührte er den Boden, riss seinen Körper herum und rannte um den quadratischen Backsteinkoloss hin zu dem großen klaffenden Loch. Die Menschen hatten hier etwas ausgegraben, verfallene Mauern und Dreck. Niemand konnte dort leben, trotzdem schütteten sie es nicht zu. Niccolò umrundete es und sprang dann zurück auf die Via XX. Settembre – zum immer noch heulenden Giacomo. Die Menschenmasse näherte sich, sie hatte den Sindone-Dieb erkannt und wollte das Untier zur Strecke bringen. Niccolò hielt nicht an, als er den Freund passierte, es gab keine Sekunden zu verschenken, Giacomo würde ihm sicher folgen. Und genauso war es. Gemeinsam liefen sie die Via della Basilica hinunter – und damit vorbei an der Porta Palatina.
An Amadeus und seiner Leibgarde.
Niccolò und Giacomo waren schnell unterwegs. Verflixt schnell sogar. Doch nicht schnell genug, um unerkannt zu bleiben. Nun wurden sie nicht nur von Menschen verfolgt, sondern auch von Hunden, die das eisige Pflaster Turins weitaus besser kannten als die beiden Flüchtenden. Diesen war nicht bewusst, dass sie nun ins alte römische Viertel rannten, mit seinen engen Gassen und verschlungenen Wegen.
»Was wollen die von uns?«, fragte Giacomo keuchend.
»Die ... die hassen mich . Weil ich schneller bin als sie. Als alle in Turin. Das können sie nicht leiden.«
Niccolò hörte auf zu reden, denn er brauchte allen Atem zum Laufen – und Giacomo erst recht. Die Verfolger sahen nicht aus, als wären sie zartbesaitet. Es waren Killer. Vermutlich Recken aus Hundekämpfen, so viele Narben und Wunden, wie sie ihre kantigen Körper aufwiesen.
Die schwerfälligen Menschen waren bald abgeschüttelt, doch die Hunde hingen an ihren Läufen wie Kletten. Mit jedem Meter kamen sie näher, angetrieben von einem rasenden Pharaonenhund, der mehr sprang als lief. Er war eine Naturgewalt. Und gleich würde er über sie kommen wie einen Wirbelsturm. Niccolò selbst wäre ihm vielleicht entkommen, doch Giacomos Kräfte ließen immer mehr nach. Sie hatten keine Chance.
Doch der alte Trüffelhund nutzte sie.
»Lass mich vor!«, brüllte er mit letzter Kraft. Niccolò ließ sich zurückfallen. Näher an die wild kläffende Meute, an Klauen und Fänge. Doch wem sollte er vertrauen, wenn nicht seinem Freund?
Dieser bog nun um die Ecke. Was dumm war, denn der eingeschlagene Weg konnte sich als Sackgasse herausstellen. Bisher waren sie immer geradeaus gerannt. Ins Offene.
Doch nun diese enge Straße. Sie verlief an einer Kirche vorbei. Enge Straßengitter am Ende. Er könnte sich hindurchzwängen, Giacomo aber müsste sich dagegenwerfen, hoffen, dass sie umfielen. Doch das würde Zeit kosten. Und es reichte, wenn einer der Verfolger einen Hinterlauf zu fassen bekam. Dann war alles aus.
Doch Giacomo rannte die Straße nicht entlang, sondern bog sofort nach rechts und stieß, den Kopf wie eine Ramme gesenkt, mit voller Wucht gegen eine angelehnte Haustür. Niccolò hinterher. Von drinnen warf sich der massige Lagotto sogleich gegen das Türblatt. Es krachte ins Schloss.
Aus der Küche dröhnte Vasco Rossi, noch lauter sang die Köchin. Sie würde den Knall nicht gehört haben. Giacomohorchte nach draußen und vernahm das Getrappel der vorbeischießenden Hunde.
Niccolò hielt es nicht mehr aus.
»Woher wusstest du, dass ...«
»Tiefkühlpizza.«
»Hier wird gekocht?« Niccolò hob die Nase.
»Riecht eigentlich nach nix, aber das intensiv. Bemerke ich immer sofort. Die Tür stand auf und hat den Duft auf die Straße gelassen. Bei einem offenen Fenster hätte es anders gerochen. War eine Kleinigkeit.«
»Was bin ich froh, dass du Tiefkühlpizza magst! Die kann schon richtig lecker sein.«
»Lecker? Lecker ? Eine Beleidigung für meine Nase! Kommt nicht aus dem Steinbackofen und ist labberig wie alte Schuhsohlen. Der Gestank quält mich. So was backen nur böse Menschen.«
»Isabella aber auch!«
Giacomo brummte, öffnete ein paarmal das Maul, um etwas zu sagen, doch kratzte sich dann lieber am Ohr. »Das war übrigens der pure Wahnsinn gerade am Duomo! Warum fragst du mich nicht, bevor du so ...«
»... etwas Grandioses machst? Weil ich das auch ganz allein kann.«
»Nur wieder zurückkommen nicht!«
»Hätte ich schon
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