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Blut & Barolo

Titel: Blut & Barolo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Sebastian Henn
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Windspiel in seinen Bann.
    Rechts der Straße erstreckte sich ein umgittertes Stück Land, eine kleine Lichtung inmitten hochgewachsener Häuser, Bäume darin, aber vor allem breite Mauern mit Dächern und unzähligen kleinen Schildern, ordentlich angebracht, mit Schnittblumen geschmückt, Fotos darauf. Vor einem dieser Schilder, einem goldenen, stand eine kleine Gruppe, komplett in Schwarz gekleidet, die Häupter gesenkt. Niccolò kannte Beerdigungen, und auch Gräber hatte er bereits gesehen. Doch mit diesen stimmte etwas nicht.
    Auf einer Staffelei stand ein gerahmtes Foto, über dessen rechte obere Ecke ein schwarzes Band verlief. Niccolò hatte im Vorbeirennen nur ein Ohr darauf erkennen können. Es war ihm bekannt vorgekommen – und es gehörte einem Hund. Das Windspiel drückte sich durch die Beine der Trauernden, welche ihm bereitwillig nachgaben. Einige Hände strichen ihm über das kurze Fell, tröstend und zugleich selber Wärme suchend.
    Gegen die hölzernen Stützen der Staffelei lehnten zwei Kränze, auf denen der Name des verstorbenen Hundes geschriebenstand, auf den Schleifen fanden sich stilisierte Pfotenabdrücke, Knochen und unzählige Herzen. Niccolò blickte hoch und begann zu zittern. Denn das Ohr, welches Niccolò auf dem Foto so bekannt vorgekommen war, gehörte zu Canini. Die rote Cockerspaniel-Hündin schaute, den Kopf leicht gesenkt, die Zunge heraushängend, auf die Trauer gesellschaft. Ihre schönen dunklen Augen voller Freude, die Schnauze feucht glitzernd, das Fell perfekt getrimmt. Niccolò suchte das Bild nach einem Detail ab, das Canini nicht besaß, einem Hinweis, dass dies eine andere Hündin war. Doch nichts. Auf dem Bild war Canini, ohne Zweifel, seine Canini, und all diese Menschen waren gekommen, weil sie gestorben war.
    Und er hatte sie damals allein bei Mario zurückgelassen!
    Jemand spielte eine Melodie auf der Querflöte. Es klang traurig und schön zugleich. Niccolò sah sich um und erkannte mit einem Mal, dass auf allen an den Gräbern angebrachten Fotos Hunde oder Katzen abgebildet waren. Dies war kein Friedhof für Menschen, sondern einer für Vierbeiner.
    Konnte Canini wirklich gestorben sein? Nein, das wollte er nicht glauben. Sie konnte nicht tot sein! Das hätte er doch gespürt. Canini lebte ganz bestimmt noch. Es wäre wie damals beim alten Canaro, den er am Brunnen der Piazza gefunden hatte, leblos, nicht mehr atmend. Dann hatte sich herausgestellt, dass er bloß zu viel Grappa getrunken hatte und in einen tiefen Schlaf gefallen war. Genauso war es nun auch. Nur ohne Grappa. Und das würde er beweisen. Es war alles ein Missverständnis.
    Niccolò rannte schnurstracks zu dem unfassbar hohen Haus, in dem Mario lebte. Er musste nicht lange warten, bis jemand von innen die Tür öffnete und er das Treppenhaus hinauflaufen konnte. Auf den glatten Fliesen verlor er wiederholt den Halt, doch seine Hoffnung federte die Stürzeab, trieb ihn rastlos weiter voran. Die Tür mit dem kleinen Spion erkannte er gleich wieder, stellte sich auf die Hinterbeine und kratzte daran, laute Beller ausstoßend.
    Doch keine Antwort.
    Und er roch auch nichts. Niemand befand sich hinter der dünnen Holzplatte. Kein Mario, nicht seine Frau, kein Rory, und vor allem nicht Canini.
    Drinnen klingelte das Telefon, und der Anrufbeantworter sprang an. Jemand sprach etwas aufs Band. Doch Niccolò verstand kein Wort, und es war ihm auch egal.
    Canini lebte trotzdem, ganz bestimmt sogar.
     
    Ugo versuchte, zwischen den Wintermänteln und Pudelmützen der Via Santa Chiara auszumachen, was ihn gerade gestreift hatte, doch es war nicht mehr zu sehen.
    »Was da so schnell lief, fast schon schoss, also, es sah aus wie dieses Windspiel, das du suchst«, sagte er zu Amadeus. »Es ging so schnell, deshalb, du weißt schon, also, ich bin mir nicht sicher.«
    »Wie weit ist es noch?« Der Pharaonenhund ging einfach weiter. »Bring mich endlich zu Nara.«
    »Was? Wie? Ach ja, wir sollten jetzt besonders leise sein, sonst sieht sie uns, vor allem dich, nicht wahr.«
    Doch die schmale Straße im romanischen Viertel Turins, dem Quadrilatero Romano, lag still vor ihnen, gänzlich ohne Pharaonenhündin. An der Ecke saß ein Penner im Schneidersitz, ein abgerissenes Stück Pappe vor sich, unverständliche Zeichen darauf. Ugo strich ihm im Vorbeigehen um die Beine, was ihm einen missbilligenden Blick von Amadeus einbrachte. »Er braucht das, na ja, brummelt dann immer, ist doch auch nur, du weißt schon, ein Hund,

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