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Blut & Barolo

Titel: Blut & Barolo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Sebastian Henn
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riesigen Bildern befanden. In einem standen zwei Füchse, die gerade von Kindern mit pechschwarzemHaar gestreichelt wurden. In einem anderen Saal stand ein großer Bär – aber mit weißem Fell! Was war das hier nur? Eine Art Friedhof? Daisy fürchtete schon, einem ausgestopften Hund zu begegnen, als sie etwas bemerkte. Ihre Nase war nicht so geschult wie Giacomos, doch auch sie konnte Veränderungen im Netz der Düfte wahrnehmen.
    »Lass uns endlich gehen«, raunte ihr Donald zu. »Gefangen nützen wir niemandem.«
    »Nur noch dieser eine Raum! Vielleicht steckt der Sonnenbrillen-Mann dort. Dann verschwinden wir. Versprochen!«
    Wie eine Grabstätte enthielt auch dieser Saal Skelette, darunter viele Gebisse, die an den Wänden hingen, teils zum Angriff aufgerissen. Es war beängstigend. Eigentlich roch alles alt und staubig, außer den Bodenfliesen, die nach starkem Essigreiniger stanken. Doch an einer schlecht beleuchteten Metallstele, ganz unten, hing das Gebiss eines Wolfes. Es roch nach frischem Wasser. Und ein ganz klein wenig nach Blut.
     
    Niccolò war das Warten leid. Der alte Trüffelhund hatte ihn tatsächlich alleingelassen. Dabei standen sie so kurz davor, Isabella zu befreien. Dann würde er jetzt eben alleine auskundschaften, wie sich das Sindone ungefährdet zu ihr bringen ließ und ob die Rolle durch die Gitterstäbe passte. Wenn der alte Zauderer mit dieser Frau Gassi gehen wollte, dann sollte er doch. Niccolò würde sich schon alleine zurechtfinden.
    Und wenn Giacomo zurückkehrte, würde er was zu hören bekommen!
    Schnell hatten ihn die Häuserschluchten Turins wieder verschluckt. Die Wärme floss wie ein ruhiger Strom in die Stadt, breitete sich zuerst auf den großen Piazzas und Prachtstraßen aus, bevor sie in die Gassen und schattigen Alleen leckte, Schnee und Eis in grauen Matsch verwandelnd. DasTauwetter musste die Stadt glücklich machen, auch wenn sie erst einmal etwas entstellt sein würde. Wie eine schöne Frau, die nach unruhiger Nacht mit zerzaustem Haar erwachte, glücklich darüber, bald wieder strahlen zu dürfen.
    Niccolòs Laune sank jedoch. Es würde ausgesprochen schwierig werden, das Sindone zur Questura zu schaffen. Nur die einsamsten Gassen wären sicher genug – doch egal welchen Weg er wählte, überall tauchte früher oder später ein Mensch auf. Ein einziger würde reichen, damit der Plan scheiterte. Immer verzweifelter suchte Niccolò Parallelstraßen und Seitengässchen ab. Einmal jagte ihm ein kleiner Junge hinterher, eine Schnur mit leeren Konservendosen haltend, die er ihm an die Rute binden wollte.
    Sie würden es niemals schaffen.
    Traurig trottete Niccolò zum Präsidium. Irgendwer hatte eine Mülltüte in die Maueröffnung gesteckt, das kleine Windspiel hatte Mühe, die eklige Verstopfung zu beseitigen. Doch als er endlich hindurch war, erblickte er nur den leeren Innenhof des Gefängnisses. Keine Isabella. Was hatte er sich nur eingebildet? Und was konnte er als Hund schon ausrichten? Dies war die Welt der Menschen, für ihre Bedürfnisse gebaut, ihren Regeln gehorchend – auch wenn Katzen dies naturgemäß anders sahen. Wäre er ein Mensch, Isabella säße längst wieder in ihrem alten abgewetzten Lieblingssessel am Kamin des kleinen Bauernhauses in Rimella, und er läge schlafend auf ihrem Schoss. Mensch müsste man sein. Nur die durften zu den Eingesperrten, könnten unbemerkt das Sindone hineinbringen, das wie ein Schlüssel alle Probleme lösen würde.
    Halt!
    Natürlich, das war es!
    Er brauchte bloß einen Menschen.
    Niccolò richtete sich auf und stieß seinen Kopf an der scharfkantigen Mauerdecke, doch es war ihm herzlich egal.Denn ihm war eingefallen, dass er ja einen Menschen hatte. Mario! Er musste ihn nur zum Sindone führen, damit wäre es so gut wie bei Isabella. Und falls Mario ihm nicht direkt folgen wollte, würde er wie ein hungriger Straßenköter keinen Zentimeter mehr von seiner Seite weichen, an seinem Hosenbein zerren, winseln, das volle Programm. Er musste ihn gleich holen! Gute Ideen verlangten danach, sofort umgesetzt zu werden. Niccolò fand seinen Geistesblitz so gigantisch, dass er Turin zeigte, was in schlanken Windspiel- beinen steckte, und jagte mit hängender Zunge über die Bürgersteige. Er wartete nicht an roten Fußgängerampeln, sondern sauste zwischen den fahrenden Autos hindurch. Der Weg war ihm so klar, als sei er ihn tausendmal gerannt. Doch dann erschien etwas, fast außerhalb seines Blickfeldes, und zog das

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