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Blut & Barolo

Titel: Blut & Barolo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Sebastian Henn
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ein armer.«
    »Wir sind zu spät. Sie ist nicht mehr hier.« Die Stimme des Pharaonenhundes wurde mit jedem Buchstaben lauter.
    »Nein, woher denn, du musst wissen, sie ist da drinnen. Ich bring dich doch, ja, einfach hinterher.«
    Amadeus folgte Ugo durch eine enge Gasse, nicht mehr als ein Spalt zwischen zwei Häusern. Sie führte auf einen kleinen Innenhof, von dem etliche Türen abgingen.
    »Dahinter ist ein, vielleicht kennst du das ja, mit Bildern, die sich bewegen, ein Kino! Zeigen das Tuch, das Sindone da.«
    »Das Sindone? Es ist hier?« Amadeus rannte zu der unscheinbaren weißen Metalltür.
    »Nein, natürlich nicht, nein. Es ist, du musst wissen, nein, zu schwierig. Vergiss, was ich eben gesagt habe, vergiss es einfach. Nara hat hier herumgestöbert, in den Räumen, zuerst nachts, da habe ich sie entdeckt. Sie müsste, bestimmt ist sie noch da. Hier, da geht es hinein.«
    Amadeus fühlte sich wie in einer Falle. Der einzige Fluchtweg war dieser dünne Spalt, durch den sie hergelangt waren, und aus jeder Tür konnte ein Mensch treten. »Was will sie nur hier? Und wie ist sie unbemerkt hergekommen? Ich lasse meine Meute doch überwachen.«
    »Nara, sie lässt sich nicht überwachen. Eine kluge alte Hündin, also wirklich.«
    Geschickt sprang Ugo hoch und schaffte es, den Griff der Holztür herunterzudrücken. Doch auch im Gang dahinter war Nara nirgends zu sehen und zu riechen. Die Farbe an den Wänden wirkte ausgeblichen, die schweren Eichenschränke waren schnörkellos. Wofür sie dienen konnten, blieb Amadeus ein Rätsel.
    Plötzlich standen sie in einer Kapelle, die verborgen wie die Perle einer Muschel in diesem Häuserblock lag, mit prachtvoll ausgemalten Decken samt optischen Täuschungen, die Marmor erschienen ließen, wo sich bloß bunter Putz befand. Diese Kirche log – auf unwahrscheinlich schöne Weise. Doch im Moment war sie düster, bestandfast nur aus Schatten. Um zu erkennen, welches Tuch in einem goldenen Rahmen über dem Altar hing, brauchte allerdings niemand viel Licht. Und um auszumachen, wer auf den schweren Altarblock gesprungen war, das Sindone jetzt in Augenschein nehmend, auch nicht. Stocksteif saß Nara auf der gestärkten weißen Tischdecke, direkt neben dem großen liturgischen Gebetbuch.
    Amadeus wusste gleich, dass dieses Tuch eine Fälschung war. Zu lange hatte seine Meute das Original gehütet, um nicht instinktiv dessen Aura spüren zu können. Trotzdem versank Nara in der Betrachtung, als würde dieses Abbild ihr etwas berichten. Amadeus sah das Sindone nun erstmals in voller Größe, erkannte die Umrisse Jesu Christi, die unzähligen Brand- und Wasserflecken. Der Anblick erschütterte ihn, denn das Tuch zu betrachten hatte er sich immer gewünscht, doch niemals darauf hoffen dürfen. Dieser Schemen eines Menschen und das Leid, welches aus ihm sprach, gingen ihm unglaublich nahe.
    Wenn Nara von dieser Kopie wusste, warum er dann nicht? Das Glück dieses Anblicks mussten alle der Meute teilen, es durfte kein Geheimnis sein. Doch Nara würde niemals so egoistisch sein! Sie dachte immer nur an andere. Wie damals, als sie ihm das Leben gerettet hatte. Er hatte sich mit der Pfote in einem Gully verhakt und ein Kehrwagen der Straßenreinigung war auf ihn zugerollt. Ins Führerhaus war sie gesprungen, hatte den telefonierenden Mann angebellt – und ihren Enkel so vor dem sicheren Tod bewahrt. Amadeus’ Vater mochte das Oberhaupt der Meute sein, doch die meisten Fäden wurden von Nara gezogen, ohne dass er deren Bewegung wahrnahm. Zu niemandem spürte Amadeus ein tieferes Vertrauen.
    Ein schwerer Atemstoß entfuhr ihm.
    Nara wandte sich um.
    Hatte sie ihn und Ugo etwa entdeckt? Nein, vor ihnenerhob sich doch schützend ein kleiner Tisch mit Prospekten. Aber es war unmöglich, Naras Augen im Dunkel auszumachen. Sie hob nun den Kopf, wie immer, wenn sie ihn tadelte. Lange hielt sie inne, wie ein Blatt bei Windstille. Das wirkte unnatürlich und beunruhigend auf Amadeus. Er traute sich nicht, tiefer im Schatten zu versinken, da Nara diese Bewegung vor den ruhenden Steinen sicher bemerkt hätte.
    Sie öffnete gerade ihr Maul, als die Tür zur Kapelle aufgestoßen wurde.
    Ein Priester erschien, der das Licht anschaltete. Sein Kopf wirkte prall und rot wie eine Tomate, mit etwas sprießendem Haar obenauf statt des Grüns beim Gemüse. Nach ihm trat ein Mann mit schwarzer Sonnenbrille und stromlinienförmig zurückgegelten Haaren ein, der sein Handy am Ohr hielt. »Natürlich passe

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