Blut & Barolo
Wahrscheinlich hat die Bulldogge ein paar Eichhörnchen gefuttert. Kleinkinder sollen jetzt nur noch an der Hand gehen dürfen. Das ist nicht mehr mein Turin!« Sie blickte zur Signora. »Singst du mir was? Für die Nerven!«
Die Signora sang »Chi era lui« – so tief wie Adriano Celentano. Giacomo lauschte den Worten und bemerkte dadurch fast nicht, wie Roberta mit Scheren, Rasierer und Haarfärbemittel an ihm herumwerkelte. Die Signora sang immer weiter, ein Lied nach dem anderen, die Hände tief in den Taschen ihres alten Mantels versenkt, die Augen geschlossen. Bei einem Titel, er war langsam, die Töne hingen schwer in der Luft, rann ihr eine kleine Träne über die Wange. Die Signora wischte sie nicht fort, und Giacomo wurde so merkwürdig zumute, dass er aufbellte. Daraufhin öffnete die Signora ihre Augen, und ein Lächeln stahl sich auf ihr Gesicht, langsam, wie sich alte Zweige im Wind bogen.
»Sehr gut, Roberta. Aber das reicht. Er soll nicht zum Gespött unter seinesgleichen werden.«
»Red doch kein dummes Zeug! Aber ich wollte eh gerade aufhören. Mehr Punkte braucht er nicht. Gefällt er dir?« »Er sieht aus wie eine Nutte.«
»Also gefällt er dir nicht. Du hast auch keinen Geschmack. Nie gehabt.« Roberta strich Giacomo mit einer harten Drahtbürste über den Kopf. »Er ist schrecklich verfilzt, eigentlich müsste er gebadet werden.«
»Das würde ihm nicht gefallen.«
»Meinst du, er hat das Sindone wirklich gestohlen?«
»Schau dir seine Augen an«, sagte die Signora und setzte sich zu ihm auf den Tisch. »Sie sind gefüllt mit Weisheit.«
»Ein Lösegeld kann er ja wohl kaum verlangen. Oder könnte das in Hundekuchen ausbezahlt werden?«
Roberta holte einen Parfumzerstäuber aus dem Regal und nebelte Giacomo ein. »Jetzt duftet er wie eine Frühlingswiese – und nicht mehr wie ein inkontinentes Wiesel.«
Der fast hysterisch fröhliche Duft legte sich auf Giacomos Fell. Der alte Trüffelhund bellte zum Protest auf, doch es war bereits zu spät. Es wären sicher einige Wälzungen in Dreck und Matsch nötig, um wieder normal zu riechen.
Die Signora hob ihn herunter und entriegelte die Eingangstür. »Dank dir, Roberta. Du bist ein Schatz.«
»Du mich auch.« Die Hundefriseurin fegte das abgeschnittene Fell zusammen. »Sehen wir uns morgen Abend zum Juve-Schauen?«
»Natürlich! Koch was Leckeres, ich bring zwei Flaschen Barbera mit. Den guten.«
Giacomo wusste, dass er nun anders aussah. Aber er wollte gar nicht wissen, wie. Aus den Augenwinkeln konnte er erkennen, dass sein Fell kürzer war, und ein kühler Zug um die Bauchgegend verriet ihm, dass der Rasierer sich hier bis fast auf die Haut gesenkt hatte. Dazu kamen schwarzePunkte wie bei einem Dalmatiner, und wenn ihn der Eindruck nicht täuschte, eine Art Hut auf dem Kopf. Er war fraglos auffälliger als vorher, die Leute sahen ihn nun auch wieder an – doch dabei lächelten sie.
Noch ungewohnter für Giacomo war, dass er all dies so gut sehen konnte. Die Welt hatte nun keine Zotteln mehr, die immer und überall herumhingen. Sie war irgendwie größer geworden.
Und beängstigender.
Ihm hatte sein kleines Guckloch eigentlich gut gefallen.
»Nicht nur Roberta stellt sich viele Fragen, Giacomo. Auch die anderen Menschen. Zum Beispiel was das Sin done in dem hohlen Baum beim Palazzo Stupinigi zu suchen hatte. Welcher Dieb wäre so dumm, es an einem so unsicheren Platz zu hinterlegen, wo es ein zufälliger Spaziergänger leicht finden könnte? Sie haben deine Spuren im Schnee entdeckt, musst du wissen. Alles stand groß in der Zeitung. Aber für mich ergibt es keinen Sinn.«
Dann schwieg sie lange. Giacomo genoss die Stille, keine Gedanken entströmten der Signora, und er fühlte sich so sehr am richtigen Platz, als sei er der Korken einer Barolo-Flasche. Die Sonne bestrich Turin großzügig und strahlend gelb, wie ein frisch gebackenes Panini. Selbst der Schnee sah aus wie Butter.
»Gleich sind wir da«, sagte die Signora plötzlich. »Um diese Uhrzeit liegt der Chef immer auf der Sonnenbank.«
Sie langte mit ihrem Arm bis zur Beuge in die große Handtasche und zog ohne Umschweife einen Schlüssel hervor, dessen Bart aufwendig gezackt war und dessen Reide die Form einer Spirale hatte. Satt klackte er ins Schloss. Als sich die Tür öffnete, ergoss sich schwerer Schokoladenduft über Giacomo und verdeckte vollends das schreckliche Parfum des Friseursalons. Obwohl der Raum im Inneren komplett in Weiß gehalten war und geradezu
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