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Blut & Barolo

Titel: Blut & Barolo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Sebastian Henn
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sprang zu Giacomo und schnupperte an dessen Atem.
    »So, also, na ja, so heißt es zumindest.«

 
     
    Kapitel 10
     
     
    DIEBE
     
     
    E ine Nacht wie diese hatte Turin noch nie erlebt. Es war, als gäre die Stadt, als verwandele sie sich in etwas Neues, Gefährlicheres. Stürme jagten wie ruhelose Geister durch die Straßen und Gassen, heulten und rüttelten an den furchtsam verschlossenen Türen. Obwohl es nach Regen stank, die kochenden Wolken ihn versprachen, der Beton danach schrie – kein Tropfen fiel. Dafür donnerte und blitzte es, hoch oben am Himmel. Mutige standen mit offenen Augen und Ohren an den Fenstern, die Hände ungläubig gegen die eiskalten Scheiben gedrückt, doch die meisten lagen im Bett und hatten die Decken schützend bis zum Kinn gezogen.
    Niemand war unterwegs, sämtliche Autos standen verlassen an den Straßenrändern. Bei einigen blinkten die Warnlichter, gelbes Licht in die aufgewühlte Dunkelheit werfend. Die Menschen hatten gehört, dass der Sturm im Aostatal uralte Eichen entwurzelt und Dächer abgedeckt hatte. Dort fiel auch Schnee, säckeweise, ließ die Straßen binnen Sekunden im Weiß verschwinden. Auch die Tiere Turins wussten um die Gefahr. Weder Katzen noch Hunde waren auf der Piazza Castello zu sehen, dem steinernen Herzen der Stadt – selbst Ratten und Mäuse hatten sich in feuchte Kellerräume verkrochen. Die Hauptachsen der Altstadt trafen hier zusammen, Bus- und Straßenbahnlinien be gaben sich von dieser Stelle aus auf ihre Reisen. Im Zentrum des riesigen Platzes stand der Palazzo Madama, eine Mischung ausrömischem Tor, mittelalterlicher Burg und Barockfassade. Doch selbst das massive Steinbollwerk wirkte in dieser Nacht zerbrechlich und die große Eislaufbahn davor wie ein übler Scherz.
    Der Spürer mochte keine Scherze. Lautlos trat er aus einer Straße, doch kein Beobachter hätte sagen können, aus welcher. Plötzlich war er da. »Giacomo ist in der Nähe«, sagte er. In seinem Fell hatte sich eine Taube festgekrallt, um dem Wind zu trotzen. Ruckartig blickte sie sich um, immer wieder gurrende Laute ausstoßend. Der Spürer war ein Border Collie, sein Fell verfilzt und ausgeblichen, wie ein Pullover, der zu lange im Wald gelegen hatte. Wie Fäulnis breitete sich Grau auf seinem Körper aus, auch auf den leblosen Augen, die schon lange keinen Unterschied zwischen Tag und Nacht mehr machten.
    »Wenn wir Giacomo finden, kriegen wir auch das Tuch. Wo steckt er denn jetzt genau?«, fragte der Spürer leise. Die Taube hackte wie zur Antwort auf sein Fell, und der Border Collie schlug langsam einen Weg ein. Der Himmel über ihm schien sich wie ein Wirbel über Turin zu drehen.
    »Eigentlich gefällt es mir hier«, sagte der Spürer. »Wirklich. Es sieht nämlich so aus, als gäb’s bald irre viel für mich zu tun.«
    Die Taube wusste, was die Leidenschaft des Spürers war. Es waren Tote.
    Doch sie mussten frisch sein.
     
    Giacomo konnte sein Glück nicht fassen. Hier stand er also, vor der Pforte zum Himmel, und gleich würden sie eingerammt von drei Berner Sennenhunden, zwei phlegmatischen Neufundländern und einem Chihuahua – der unbedingt mit dabei sein wollte. Sie standen bereit, gut dreißig Meter von der Glastür entfernt. Über die Straße flogen Fetzen von Plakaten, die der brodelnde Sturm von den Wänden gerissenhatte. Sie zeigten Giacomo und den Papst, aber auch Filmstars und größenwahnsinnige Politiker. Für den tosenden Wind waren sie alle gleich.
    Der alte Ugo wartete nur darauf, endlich das Startsignal geben zu können. Sein Schwanz schlug aufgeregt hin und her. Irgendwie hatte er es geschafft, auf einen der grünen Abfalleimer zu springen und sich dort trotz des Sturms zu halten. Das Balancieren schien ihm unheimlich Freude zu machen. Giacomo selbst hatte sich auf den kalten Straßenbeton gelegt, um weniger Angriffsfläche zu bieten, Niccolò lag daneben in seinem Windschatten. In diesem Moment des quälenden Wartens lenkte Giacomo sich ab, indem er seinen Gedanken freien Lauf ließ. Er hatte nicht mehr viele Träume, sie waren schon lange flügge geworden. Es waren schöne Träume gewesen damals. Zum Beispiel wie er seinem alt gewordenen Trifolao Stolz bereitete, indem er direkt am Haus Trüffel fand – so dass der gebrechliche Mann nicht weit laufen musste. Geträumt hatte Giacomo auch von einem Kamin für die kleine Stube, der beständig loderte, ohne immer so beißend zu qualmen, und von einem breiteren Wassernapf, in den er sein ganzes

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