Blut & Barolo
geführt, eines der ältesten Viertel Turins. Viele Antiquitätenhändler gab es hier, aber auch Bars, Delikatessen- und Weinläden.
Ein Hund stieß nun zu der Gruppe, der widerlich nach getrocknetem Blut stank. Andere hätten sich geputzt, doch dieser trug die Flecken im Fell so stolz wie eine Kriegsbemalung. Es war die Bulldogge vom Palazzo Stupinigi. Giacomo konnte riechen, dass sie ihr Werk an ihm und Niccolò zu Ende bringen und all die Bisse, vor denen sie das Metall der Falle geschützt hatte, endlich setzen wollte. Sie dünstete den Hass förmlich aus. Und baute sich vor dem kleinen Windspiel auf.
Doch Giacomo hatte keine Angst, denn er hatte Barolo.
Viel und laut wurde im Folgenden gesprochen. Giacomos Schnauze war zu müde, um sich zu öffnen und ihnen mitzuteilen, dass ihr geliebtes Sindone ganz nah war. Er hätte ewig weiter so liegen können, und dann direkt ab in den Himmel.
Doch mitten hinein platzte das jämmerliche Wimmern einer Hündin, das sich aus den verwitterten Steinen des mächtigen Gebäudes hinter ihnen schälte wie ein Vogel ausdem Ei. Zerbrechlich und ängstlich, doch mit dem inständigen Wunsch, endlich gehört zu werden.
Es war Daisys Stimme.
Und mit ihr kam die Nüchternheit. Sie traf Giacomo wie ein Schlag in die Magengrube, ein Tritt in den Allerwertesten und ließ seinen Schädel auf die Größe eines Medizinballs anschwellen.
Zurück in Marios Turiner Wohnung, lief Canini als Erstes zu der Decke, auf welcher Niccolò eine Nacht verbracht hatte, und senkte ihre Schnauze tief in den groben Stoff. Sein Duft war noch da, so stark, als sei er gerade erst aufgestanden. Doch er tröstete sie nicht, kein bisschen, sondern ließ die Spanielhündin nur noch trauriger werden. Ihren Kopf hob sie trotzdem nicht wieder hoch. So blieb sie für Stunden liegen, während sich über der Stadt die größten Stürme Italiens zum Familienfest trafen. Immer wieder sog sie die Erinnerung an Niccolò ein. Sein ungestümes Gemüt lag darin, sein Mut, seine Lust am Rennen und auch viel von dem großen Gefühl, dass sie miteinander verband.
»Er kommt nicht zurück«, sagte Rory und betrat das dunkle Zimmer. »Vielleicht lebt er sogar nicht mehr. Dein Niccolò ist einer vom Land, eine Stadt wie Turin ... «
Canini unterbrach ihn. »Geh raus. Lass mich. Bitte.«
»Sie machen gerade eine Dose auf, in der Küche. Hast du nicht auch Hunger?«
Scheppernd landete das Futter in den Näpfen. Sie hörte Rory davonlaufen und bald darauf begeistert schmatzen, sein metallenes Schälchen auf dem glatten Boden hin und her schiebend.
Canini stellte sich vor, es sei Niccolò, und ihr Atem wurde wieder etwas ruhiger. Mit jedem Luftholen füllte sie eine Idee in ihrem Herzen, das dadurch immer stärker gegen die Brust drückte. Es war eigentlich ganz einfach: Sie musstehier weg, Niccolò suchen, nein, finden! Einen Blick zum Fenster hinauswerfen, um die Straßen nach ihm abzusuchen, wollte sie nicht. Nur vom Boden aus besaß die Stadt ein erträgliches Maß. Zwar kannte sie Turin, Isabellas alte Wohnung lag nicht einmal weit weg von hier, doch erst als sie in das kleine Dorf inmitten der Langhe gezogen war, hatte die Hündin sich wirklich zu Hause gefühlt.
Plötzlich spürte sie Mario, er hielt einen Napf in Händen, sorgte sich um ihr Wohlergehen. »Jetzt bring ich meinem kleinen Mädchen etwas«, dachte er. Gleich würde er sie über den Kopf kraulen. Wie schön es doch war, sich dessen sicher zu sein. Bei Isabella hatte sie immer hoffen müssen, wenn diese mit nackten Füßen auf den knarrenden Dielen an ihr vorüberschlenderte, dass sie die Zeit fand, sich zu bücken, ihr einen Kuss auf die Stirn zu drücken oder den Bauch zu streicheln. Nicht immer tat sie es, nicht immer waren ihre Gedanken bei der Spanielhündin. Marios waren für Canini bis hinter den Horizont klar und sicher.
Der glänzende Napf wurde leise vor ihr abgesetzt, und Mario kniete sich daneben. »Lass dir Zeit, komm erst mal an. Das war ja ein aufregendes Wochenende für uns beide.« Er lehnte seinen Kopf an ihre Flanke, schloss die Augen, lauschte Caninis pochendem Herzen. Das beruhigte ihn, und bald schlug sein Herz im selben Rhythmus, während er sich vorstellte, wie Canini neben ihm herlief, ohne Leine, ohne Zwang, und sie gemeinsam durch das unberührte Grün des hochgelegenen Parco Naturale del Gran Bosco im Val di Susa wanderten. Seinem liebsten Ort auf Erden.
Dann stand er auf und stellte sich kopfschüttelnd vor das Fenster.
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