Blut & Barolo
Maul versenken konnte. Lagotto-Hündinnen waren ebenfalls vorgekommen, die mit ihm durch den Wald trotteten und nach Trüffeln suchten – ohne ihm den Fund wegzufressen! Doch das war lange her. Auch wenn Daisys kribbelnder, köstlich roter Duft einige Gefühle in ihm weckte, die Giacomo für längst erloschen gehalten hatte. Aber was sollte sie an einem alten, durchgelegenen Rüden wie ihm schon finden? Er hatte eh nur noch ein paar Jahre, vielleicht weniger, und dann ging es in den Himmel. Vielleicht sah er sie dort wieder? Wenn alle Wünsche wahr wurden, bestimmt.
Dies hier würde dem Paradies allerdings schon sehr nahe kommen.
»Los!«, schrie Ugo gegen den aufbrausenden Sturm, unddie Meute setzte sich in Bewegung, gewann mit jedem Meter an Geschwindigkeit, den Wind im Rücken, der dem Rammbock aus Fell und Klauen noch mehr Kraft verlieh. Die Hunde begannen zu kläffen, wie bei einer Hetzjagd, doch das Opfer war kein flüchtendes Wild, sondern die Glastür, durch welche tagsüber Scharen zum internationalen Barolo-Symposium geströmt waren, das oben in der ersten Etage, im Emanuele-Filiberto-Prunksaal, abgehalten wurde. Nachts waren die Tische zwar leer, keine gefüllten Gläser und Weinflaschen luden ein, kein Brot zum Neutralisieren der Gaumen, und auch das Antipasti-Buffet war abgebaut, doch ein außergewöhnlicher Gegenstand erinnerte selbst jetzt noch an die Festivität: die riesenhafte Bouteille, bis zum Korken gefüllt mit köstlichem Barolo. Sie stand am Ende der großen Wendeltreppe wie ein gläserner Wächter. Trotz des wenigen Lichts erkannte Giacomo sie von außen durch die großen Fenster. Diese Flasche konnte kein Menschenwerk sein, sie musste direkt von Gott kommen! Vielleicht ein Vorgeschmack des Himmels, um die Sterblichen für ein gottgefälliges Leben zu begeistern? So wie sein Trifolao ihm in der Jugend Trüffel gab, damit Giacomo auf den Geschmack kam.
Es krachte, als der Rammbock aus Hundekörpern gegen den Eingang knallte. Ugo hatte sie angewiesen, gleichzeitig gegen das Türschloss zu springen.
Das Panzerglas hielt stand.
Doch der Rahmen verzog sich. Gerade genug, dass ein Lagotto hindurchpasste. Eine Sirene brach wie Fieber in die aufgewühlte Nacht und über dem Eingang begann sich eine rote Warnleuchte zu drehen. Giacomo scherte das überhaupt nicht, denn er hatte Witterung aufgenommen. Der Duft der Nebbiolo-Traube, das geschmeidig-erdige Aroma von Barolo und Barbaresco, hatte sich den ganzen Tag über im Saal ergossen und schwappte nun durch den Spalt aufdie eisige Piazza. Giacomo badete in diesem Duft, planschte geradezu wie ein Welpe darin.
»Vorwärts«, raunte Amadeus. »Lasst es uns schnell zu Ende bringen.«
Der Pharaonenhund irritierte Giacomo. Die meiste Zeit hielt er sich steif wie ein Besenstiel, blickte arrogant und kaltherzig auf seine Entourage herab und überließ das Reden der Promenadenmischung namens Ugo. Doch immer wieder überzog Trauer sein Gesicht, ließ die kontrollierten Züge entgleisen, die Augen ihren Halt verlieren. Das beruhigte Giacomo irgendwie. Er mochte es, wenn andere Fehler hatten.
Schließlich besaß er selbst mehr als genug davon.
Sie ließen ihn vorgehen, und er betrat die Eingangshalle ohne Zögern – allerdings so vorsichtig, als wäre sie vermint. Es herrschte eine hallende Stille, der Boden stank nach Reinigungsmittel, doch den bezaubernden Duft des Weins hätte selbst die schärfste Chemikalie nicht überdecken können.
Hinter Giacomo drangen weitere Hunde hinein. Es war der Trupp, welcher die Tür so erfolgreich demoliert hatte.
»Jetzt die Flasche, die da oben, also das, ihr wisst schon, Monster. Um damit, einfach umwerfen«, rief Ugo von außen. Die Bulldozer scheuten jedoch die Wendeltreppe. Der leblose Menschenbau war ihnen unheimlich, das Klopfen der alten Zentralheizung erinnerte sie an den Pulsschlag eines Tieres. Als Erster fasste der Chihuahua Mut und führte die Schar ängstlich gesenkter Köpfe den prachtvoll verzierten Aufgang empor. Giacomo ging ehrfürchtig hinterher. Je länger er diesen Koloss von Flasche ansah, desto weniger konnte er seine Augen davon lassen.
»Was seid ihr nur für, alle miteinander, Hunde, nichts sonst!«, beschwerte sich Ugo, der mittlerweile hinterhergekommen war, nun elegant an allen vorbeilief und oben angekommen ansatzlos, die Füße voraus, gegen die Flaschesprang. Genau dorthin, wo das Glas sich zum Hals hin verjüngte. Der Punkt war klug gewählt. Zuerst wackelte die Riesenflasche nur
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