Blut & Barolo
hin und her, doch Ugo gab ihr im richtigen Moment mit der Pfote einen kleinen Schubs – und miaute stolz. Zumindest hörte es sich so an, aber da musste sich Giacomo wohl getäuscht haben.
Dann fiel die Bouteille um.
Aber zerbrach nicht. Verdammt! Giacomo wurde ganz kribbelig, als liefen unzählige Ameisen über seinen Körper. Wieso ergoss sich der grandiose Schlabbertrunk nicht über die Stufen? Warum lag die Flasche unversehrt auf dem Steinboden? Nur ein kleiner Riss hatte sich gebildet, wenige Millimeter lang, harmlos aussehend. Doch plötzlich knackte es hell, und in Windeseile breitete er sich wie ein Blitz auf dem dunklen Glas aus. Das Zerbersten der Flasche klang für Giacomo wie eine liebliche Glocke, der Wein strömte nun wie eine riesenhafte Welle heraus. Die anderen Hunde flohen – Giacomo trat in die Fluten und öffnete seine Schnauze. Am liebsten hätte er vor Freude gebellt, doch dann hätte er etwas des Weines verpasst. Es war herrlich. Leider konnte er nicht alles trinken, was ihm entgegenströmte. Doch Giacomo gab sein Bestes. Der Alkohol rauschte durch seine Blutgefäße, als seien sie ein trockenes Flussbett. So schnell schoss der Wein über Giacomos Geschmackspapillen, dass er nur wenig wahrnahm. Der Wein hatte ein betörendes Veilchenaroma und war fein gereift, aber etwas grob im Abgang. Doch was ihm an Klasse fehlte, machte er mit Menge mehr als wett! So viel Barolo hatte Giacomo niemals zu sich genommen. Trotzdem trank er nun immer mehr, längst über den Durst hinaus, und die Welt löste sich auf, als leiere ihr Gewebe aus, Zwischenräume entstanden, und alle Verlässlichkeit ging verloren. Irgendwann erstarb der Strom, der alte Lagotto brauchte allerdings einige Zeit, um dies zu begreifen. In seiner wabernden Welt der Schleier gab eskeine Konstanten mehr außer den Düften, sie hielten ihn wie Brückenpfeiler in der Wirklichkeit. Giacomo lief nicht hinunter, er kugelte, denn die breite Prachttreppe hatte für ihn keine Tiefe mehr, lag einfach nur platt da unter diesem ohnmächtigen Duft des schweren Weines. Sein verfilztes Fell polsterte ihn gut, doch einige Prellungen bekam er trotzdem ab, spürte sie jedoch nicht. Durch die verbogene Tür trat er hinaus auf die Piazza, wo die Stürme selbst den Duft des Barolos ohne Mühe zerstoben. Unmöglich, hier irgendetwas auszumachen. Keine Chance!
Giacomo bemühte sich gar nicht erst, die Augen offen zu halten, er sah eh nur ein Rauschen, wie bei einem kaputten Fernseher. Hören tat er ebenfalls nichts mehr, fühlen eigentlich auch nicht, sein Hirn konnte sich dadurch vollends auf den letzten intakten Sinn konzentrieren. Das Riechen. Es war ein Bluff gewesen, als er über die positive Wirkung des Weins auf seinen Geruchssinn salbadert hatte – doch nun nahm er tatsächlich etwas wahr: Ein Aroma, leicht und flirrend, bewegte sich durch Turin, als wehe kein Lüftchen. Dünner als ein Engelshaar war es, und nur im richtigen Winkel zu erschnuppern, doch es existierte zweifellos.
Und es roch nach Trüffel.
Nach einem frischen, in der Fülle seiner Reife stehenden Exemplar. Ein solches durchdrang selbst die mächtigste Erde, was sollte ihm da ein Sturm anhaben? Doch eine echte Trüffel war gleichermaßen animalisch wie ätherisch. Diese aber duftete hell ohne Düsternis. Es war eine Idee, wie Trüffel sein könnten – und doch niemals auf Erden wuchsen.
Giacomo folgte dem Aroma, das den Weg vor ihm ein wenig erleuchtete und ihn vor Stürzen bewahrte. Hermetisch wie unter einer Glocke bewegte sich der alte Lagotto durch Turin, spürte nicht die Meute hinter sich, hörte nicht die Fragen Niccolòs. Die vom Wind auf ihn gespuckten Zeitungsfetzen, die vorbeirollenden Abfallcontainer oder derwilde Derwischtänze vollführende Müll – Giacomo bekam nichts davon mit. Er ging bloß. Nicht einmal schnuppern brauchte er mehr, der durchscheinende Duftfaden fand seinen Weg von alleine in die verwarzte Nase. Wie lange er sich so bewegte, Giacomo wusste es nicht. Die Welt wurde jedoch immer schwerer, seine Schritte wie in tiefem Morast, der ganze Körper sank gen Boden, als laste die riesenhafte Barolo-Flasche auf seinem Rücken. Deshalb legte er sich schließlich nieder. Lärm drang daraufhin in sein Ohr – doch stieß nur auf eine weiche, zufriedene Masse.
Der Duft endete kurz vor ihm, so viel wusste Giacomo, der die Grenze zum Schlaf überschritten hatte, doch die Tür zur wachen Welt nicht schloss. Sein Weg hatte ihn in die Contrada dei Guardinfanti
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