Blut & Barolo
»Schrecklich, das Wetter draußen, was? Da braut sich was Übles zusammen. Wahrscheinlich macht dich das Geschepper der Fensterläden ganz verrückt. Ich mach sie lieber zu.«
Und genauso war es gewesen! Das stetige Poltern desHolzes gegen das Mauerwerk hatte die Spanielhündin am Einschlafen gehindert.
Wäre das Leben hier vielleicht besser?
Canini wollte, dass Mario geht. Sofort! Er tat es und lehnte die Tür hinter sich an. Weil er wusste, dass sie abgeschlossene Räume hasste? Darüber würde sie jetzt nicht nachdenken! Nur wie sie Niccolò finden konnte. Canini hatte gar nicht gemerkt, wie der Scottish Deerhound eingetreten war.
»Er hofft es, jedes Mal«, sagte Rory. »Spiel ihm was vor, es macht ihn glücklich. Und ist er es, bist du es auch. Aber deshalb bin ich nicht gekommen. Ich will dir helfen. Lass uns einen Weg finden, der dich hinaus auf die Straße bringt, zu deinem Niccolò.«
»Aber dann bist du wieder allein?«
Der große schwarze Riese senkte den Kopf. »Bin ich doch sowieso. Du bist doch gar nicht hier.«
»Was können wir denn tun?«
»Suchen, schnüffeln. Wir sind doch Hunde. Lass uns herumstöbern, vielleicht finden wir was, das uns weiterhilft, auf eine Idee bringt. Ist auf jeden Fall besser, als nur rumzusitzen und zu warten. Das mag ich überhaupt nicht. Am liebsten würd ich ja nur rennen, lange Strecken, ohne Straßen oder Häuser, einfach geradeaus. Aber das gibt’s hier ja nicht. Die Stadt ist zu klein dafür.«
Canini hatte immer gedacht, Turin sei unglaublich groß. Aber Hunde mit so langen Beinen wie Rory sahen das wohl anders.
Sie begannen auf der Stelle mit der Suche. Mario munterte das auf, weil es für ihn ein Zeichen neuen Lebensmutes bei Canini war. Irgendwie stimmte das ja auch. Marios Frau Saada blätterte vor dem Fernseher in einem Hochglanzkatalog, die langen Beine übereinandergeschlagen, an den Füßen Schuhe mit spitzen Absätzen, die Canini an Grillspießeerinnerten. Auch Saada lebte nicht hier, das begriff die Spanielhündin nun. Die Augen der schönen Frau waren leer.
Canini beachtete sie nicht weiter. Sie suchte stattdessen unter Sesseln und Schränken, öffnete sogar die Türen der kleinen Anrichte mit ihrer Schnauze, was Canini einen Lacher von Mario einbrachte. Rory inspizierte unterdessen das Bad. Gemeinsam betraten sie das Schlafzimmer, welches fast nur aus einem großen Himmelbett bestand. Sämtliche Wände waren voller Bilder, die nur eines zeigten: Himmel. Mal mit Vögeln oder Wolken, von einigen leuchteten Sonnen herab, manche goldgerahmt, andere nur angeheftet, ergaben sie ein Gefühl von Höhe, von Schwerelosigkeit. Der Fußboden bestand aus einem durchgehenden weißen Flokati.
»Saada liebt Wolken«, sagte Rory. »Und Mario liebt Saada.«
Die Schiebetüren des Kleiderschranks waren blau bemalt, nach oben heller, luftiger werdend. Sie glitten lautlos auf, als Rory die vorstehende Holzwulst mit dem Kopf zur Seite drückte. »Geh du rein, bist kleiner.«
Der Duft von Frühlingsblumen, Zitronen und Leder empfing Canini. In den unteren beiden Etagen standen Schuhe, darüber hingen die Maßanzüge Marios. Und dahinter, ganz in der dunklen Ecke, nicht zu sehen, nur zu riechen, lag eine Tüte, leicht verdreckt, Kleidung darin. Canini zog sie heraus.
»Das bringt uns sicher nicht weiter.« Rory schob die Tür ganz auf, bis Saadas atemberaubende Kleider zu sehen waren.
»Ich will wissen, was hier drin ist. Eine komische Tüte ist das, die Sachen darin riechen falsch.«
Sie zerrte den Fund mit den Zähnen heraus und ließ ihn auf den flauschigen Teppich fallen. Die Kleidungsstücke warenvöllig aus der Mode, in Grau und Braun. So etwas trug heute niemand mehr. Canini beobachtete die Menschen sehr genau, solche Sachen hatte sie nur an Landstreichern gesehen.
Nein, das konnte nicht!
Durfte nicht.
Giacomo hatte den Mann beschrieben, der ihm im Parco Naturale di Stupinigi gefolgt war, nachdem er das Sindone gefunden hatte. Der alte Trüffelhund hatte atemlos von ihm erzählt, vor sich hin brabbelnd, bevor die Polizei in den Palazzo eindrang und Isabella raubte. Vom löchrigen teerbraunen Pullover, dem graumelierten knielangen Mantel mit dem breiten Kragen, einer schwarzen abgewetzten Cordhose, einem dicken gestrickten Schal und Lederstiefeln, deren Sohle sich löste.
Alles da.
Jedes Teil.
Und sie rochen nach Mario.
Wie hatte sie sich nur so in einem Menschen täuschen können? Canini wollte nur noch fort. Selbst in dieser schrecklichen Nacht.
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