Blut & Barolo
verschwinde wieder, sonst sieht er dich! Dann gibt es nur noch mehr Ärger.«
»Von dem Mann, der am Ende des Ganges sitzt? Deinem Menschen, von dem du mir in so leuchtenden Farben erzählt hast? Der Diener Gottes mit dem großen Herzen? Erlässt dich hier wimmernd allein in dieser dunklen Abstellkammer?«
Daisy schwieg nur kurz. »Es ist bloß ein Missverständnis. Bald wird er mich wieder in die Arme schließen!«
Daran zweifelte Giacomo. Er konnte die Gefühlskälte dieses Menschen riechen wie den Gestank eines alten Seebarsches. »Ich dachte immer, die Menschen müssten sich gut benehmen, damit sie in den Himmel gelangen.«
»Er«, Daisy zögerte, »weißt du, eigentlich glaubt er nicht an Gott. Aber er will es nicht zugeben. Am allerwenigsten gegenüber sich selbst – und vor Gott. Der darf es niemals erfahren! Es könnte Unglück bringen. Deshalb betet und bekreuzigt er sich so häufig. Er will alles richtig machen. Dabei macht er manchmal auch etwas falsch. Aber er meint es doch nicht so! «
Diesem Gedankengang zu folgen fühlte sich für Giacomo unnatürlich an. Die Sache mit Gott schien viel komplizierter zu sein, als er angenommen hatte.
»Wo ist dein Bruder?«, fragte plötzlich Niccolò.
»In unserem Versteck, er wollte mir nicht helfen. Er wollte nur noch alleine sein, und wieder zu Hause. Genau wie ich.«
»Lasst uns jetzt schnell von hier fortgehen«, sagte Niccolò. »Diese Wohnung macht mir Angst. Wie ein trockener Wald, der jeden Moment Feuer fangen kann.«
Giacomo trat zu ihm und senkte die Stimme. »Bewach bitte die Tür und sag sofort Bescheid, wenn der Mann kommt. Ich brauch noch etwas Zeit.«
Das Windspiel ging wortlos fort, und Giacomo setzte sich dicht vor die Hündin.
»Erzählst du mir, was genau passiert ist?«
»Gehst du dann wieder? Versprochen?«
»Wenn du es dann noch willst, verschwinde ich.« »Das will ich.«
»Warum hat er dich geschlagen?«
Die Lagotto-Hündin rückte noch tiefer in die Ecke, bis sie an eines der Metallregale stieß. »Du hast es schon gerochen, oder?«
»Das Sindone ist hier.«
»Ich habe es ihm gebracht. Es tut mir nicht leid, Giacomo! Dieses Tuch gehört den Menschen, es ist ihr Gott.«
»Sei ehrlich mit mir, Daisy. Die Menschen sind dir egal. Du hast es ihm gebracht, damit er dich wieder in sein Herz schließt.«
Die Hündin rollte sich wie eine Schnecke zusammen, die Schnauze tief unter einem ihrer Hinterläufe verborgen.
»Aber er freute sich gar nicht«, sagte Giacomo. »Sondern prügelte dich windelweich.«
Der alte Trüffelhund musste lange auf eine Antwort warten.
»Er nannte mich eine Ausgeburt der Hölle.«
Die Hölle, davon hatte ihm die Signora schon berichtet. Die Endstation für schlechte Menschen. Kamen solche dorthin, die Hunde schlugen, nur weil diese aus Liebe für sie geraubt hatten?
Daisy blickte auf, doch schaute sie ihm nicht in die Augen. »Aber er hat es nur getan, weil er dachte, ich hätte das Sindone gestohlen! Die Schläge und ... Tritte, sie galten dir. Bald wird er seinen Fehler einsehen und mich wieder in die Arme schließen. Er ist doch mein Mensch!«
»Aber du bist nicht seine Gefährtin. Hilfst du uns, das Sindone aus dem Haus zu schaffen?«
»Nein.«
»Wirst du uns daran hindern?«
Sie zögerte, ihre Antwort war kaum ein Hauchen. »Nein.«
»Ich mag dich sehr, Mädchen. Du hast etwas Besseres verdient. Wie dumm, dass wir Hunde nur ein Herz zum Verschenken haben.«
Er verließ den Raum, ging an Niccolò vorbei und hielt auf die einzige spärliche Lichtquelle zu.
»Stell dich so neben den Türbogen, dass er dich nicht sieht. Wenn ich rufe, rennst du los. Du musst aber wissen, dass es dich deine Beine kosten kann.« Giacomo wusste um die Zerbrechlichkeit der streichholzdünnen Gliedmaßen des Windspiels, doch er sah keinen anderen Weg. »Ist es dir das wert?«
»Nein, aber ich mach es trotzdem.«
»Ich werde dich hier nicht alleinlassen, das weißt du. Egal, was passiert.«
Niccolò antwortete nicht, sondern schmiegte sich an Giacomos Flanke. Nur kurz, doch es sagte mehr als jedes Wort.
Ob es der Rest Barolo war, der Giacomos Sinne auf Hochtouren arbeiten ließ, oder schlicht die Gefahr, der Lagotto erfasste die Situation im Augenblick seines Eintretens. Und verharrte im Schatten.
Der Priester war hagerer als die Bildnisse des Gekreuzigten und saß auf einem weißen Plastikstuhl über das Sindone gebeugt, eine Lupe vor dem rechten Auge haltend. Kein Staubkorn hing an seiner schwarzen Kleidung,
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