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Blut & Barolo

Titel: Blut & Barolo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Sebastian Henn
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sie aufzuspüren, mit ihnen in Kontakt zu treten. Nur alle Jubeljahre wurden Hunde wie er geboren. Manche kamen in die Zeitung, weil sie auf dem Grab ihres Herrchens lagen, bis sie selbst verhungerten, oder weil sie aufheulten, wenn ihrem Menschen etwas zustieß – der sich jedoch kilometerweit entfernt befand. Was für Giacomo die Welt der Düfte, war für den Spürer die des Jenseits. Er hauste bei den Ratten der Lüfte, in einem brüchigen Taubenschlag, der vergessen auf dem Dach eines alten Supermercato in Alba stand. Tauben liebten Geschichten über alles, deshalb waren sie stets dort zu finden, wo Menschen lebten. Sie setzten sich auf die Fenstersimse und lugten in Häuser und Wohnungen, flogen in Bahnhöfe und Hotelhallen. Geschichten sehen. Doch nur der Spürer konnte ihnen die der Toten erzählen, darum machten sie für ihn die Leichen ausfindig – und berichteten ihm auch von dem heiligen Leichentuch, in das der Gott der Menschen eingewickelt gewesen war, bevor er den Tod besiegt hatte. Als sie ihm von dem Sindone erzählten, hatte er sich sogleich auf den Weg gemacht.
    »Nun erklär mir alles«, sagte der Pharaonenhund zu Giacomo, als alle Hunde in der Schalterhalle eingetroffen waren. »Wie konntest du nur so viel Unheil über meine Sippe und die Stadt Turin bringen? Was um alles in der Welt wolltest du mit dem heiligen Tuch?«
    Der Spürer nahm wahr, wie sich das kleine Italienische Windspiel namens Niccolò neben seinen Freund stellte, als könne es ihn so beschützen. Lächerlich. Die Lagotto-Hündin,welche direkt hinter Giacomo eingetreten war, verzog sich nun in eine der noch nicht ausgebauten Toilettenanlagen.
    »Es duftete nach Trüffel, und es steckte in einem hohlen Baum«, sagte Giacomo, während seine unförmige Nase über dem Sindone tanzte. »Ich brachte es meiner Menschenfrau und rettete es dann vor den Einbrechern. Das ist eigentlich alles.«
    Der Pharaonenhund beugte sich ehrfurchtsvoll und langsam über das Sindone. »Es riecht überhaupt nicht nach Trüffeln, sondern ... nach meinem Vater.«
    »Nach Wind!«, rief Niccolò. »Es duftet nach Wind, und auch nach Canini.« Es tat ihm offensichtlich weh, den Namen auszusprechen. Der Spürer labte sich an diesem Leid – doch es war noch keine vollständige Mahlzeit.
    Nun traten auch die anderen Hunde näher und riefen wild durcheinander. Den einen erinnerte der Duft des Sindone an neue Tennisbälle, einen West Highland Terrier an Rinderknochen, ein Lhasa Apso dachte an sein Quietscheentchen und ein Berner Sennenhund an die Alpen – obwohl er noch nie dort gewesen war.
    Der Pharaonenhund war sichtlich irritiert. Er wollte Antworten, eindeutige Antworten. Ihm zur Seite stand nun eine Bulldogge, welche die Zähne in Richtung Giacomo fletschte und auf ein falsches Wort hoffte wie Katzen auf junge Mäuse.
    »Wo steckt dein Komplize, der Wolf?«, fragte Amadeus. »Warum tötete er den Wächter?«
    »Was redest du für wirres Zeug. Wir haben ... Niccolò, erzähl du ihm den Rest. Mir brummt der Schädel.«
    Das kleine Windspiel tat es. Und das Zittern in seiner Stimme, als er Canini und Isabella erwähnte, ließ für niemanden einen Zweifel an der Wahrhaftigkeit seiner Worte.
    »Das darf nicht sein«, rief Amadeus so laut, dass die überihm sitzenden Tauben unruhig wurden. »Wir haben alle so viel verloren, der Täter darf nicht ungeschoren davonkommen. Wo Schuld ist, muss es Sühne geben!« Er drehte seinen Kopf, so dass es schien, als spreche er zum Sindone. »Doch wer steckt dahinter? Die Menschen sicher nicht, denn warum sollten sie ihr geliebtes Sindone stehlen? Wer hätte überhaupt etwas davon? Niemand. Nur wer Chaos will und Leid.«
    Er blickte sich um, hoffte bei irgendjemand die Antwort zu finden, welche weder Giacomo noch Niccolò ihm zu geben vermochte. Doch die Kehlen blieben stumm.
    Nur eine nicht, doch Amadeus konnte sie nicht hören.
    Es war Maria Grazias. Alle hatten vergessen, dass sie da war, so still verhielt sich die massige Bloodhound-Hündin. »Der Conte kennt die Menschen wie kein Zweiter«, sprach sie nun leise in Giacomos Ohr – doch der Spürer verstand jedes Wort. »Er denkt wie sie«, fuhr sie fort. »Isst nur ihr Futter und rührt nie etwas an, das für Hunde gedacht ist. Zu Hause sitzt er mit seinen Menschen am Tisch, vor denselben Tellern wie sie. Er hat kein Körbchen, sondern ein kleines geschnitztes Bett. Im Auto seiner Menschen liegt er nicht auf dem Boden, sondern in einem Sitz, und wenn das Wetter schlecht

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