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Blut der Wölfin

Blut der Wölfin

Titel: Blut der Wölfin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kelley Armstrong
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hinter mir gerichtet; sie runzelte besorgt die Stirn. Ich drehte mich um. Jaime stand immer noch im Eingang des Bücherlabyrinths; Clay war hinter ihr eben noch zu erkennen. Sie stand starr und bleich da, während ihr Blick hektisch im Raum umherirrte. Dann zuckte sie zurück, als ob ihr ein Vogel ins Gesicht geflogen sei.
    »Jaime?«, sagte ich.
    »S-sie ist keine Hellseherin«, flüsterte Jaime.
    Ihre Augen hielten keine Sekunde lang still, während sie sprach; sie richteten sich auf eine Stelle, dann eine andere, dann eine dritte. Geister. Ein Raum voller Geister.
    »Scheiße«, murmelte ich, während ich mich bereits umdrehte. »Komm, machen wir, dass wir …«
    »N-nein. Sie interessieren sich nicht für mich. Nicht, solange ein stärkerer Nekromant da ist.«
    Stärker? O Gott. Ich hatte Jaime nicht zu einer wahnsinnigen Hellseherin geführt, sondern zu einer wahnsinnigen Nekromantin.
    Ich winkte Clay hektisch zu, er solle Jaime am Arm nehmen, sie notfalls ins Freie zerren. Aber als er nach ihr griff, schoss sie aus seiner Reichweite und um mich herum.
    »Ja, ja, ich verstehe«, kam Tees heisere Stimme, kaum lauter als ein Flüstern. »Ängstliches Ding, was? Hat vielleicht Angst vor Geistern?« Ein gackerndes Lachen. »Komm näher, Schwester. Sie werden dich nicht behelligen.«
    Tees Gesicht schob sich vor, aber es war hier drinnen zu dunkel für Jaime, die immer noch die Augen zusammenkniff, um etwas zu sehen.
    »Wer sind deine Leute, Schwester?«
    »L-leute?«, fragte Jaime zurück.
    Ein gereiztes Knurren. »Deine Verwandten. Deine Familie. Aus welcher Linie stammst du?«
    Sie unterbrach sich; das bleiche Oval ihres Gesichts richtete sich aufwärts, während sie zuhörte – denen zuhörte, von denen ich geglaubt hatte, es seien die Stimmen in ihrem Kopf, und von denen ich jetzt wusste, dass es Geister waren. »Wirklich? Spotte nicht. Es kann nicht sein.«
    Ihr Gesicht schwenkte zu uns zurück und streckte sich vor, während ihr Körper immer noch in ihre langen Gliedmaßen gewickelt blieb. »Oh, ja, ja, ich sehe es. Doch, ich sehe es. Molly O’Caseys Enkelin. Arme Molly. Was muss sie denken bei einem so ängstlichen Mädchen.«
    Ein Teil von Jaimes Entsetzen verflog, und sie trat näher.
    »Du hast Jaimes Großmutter gekannt?«, fragte ich rasch.
    »Gekannt? Ja, ja. Ich habe sie seit …« Eine Pause; sie blickte nach rechts. Dann ein scharfes Zischen, bei dem Zoe, Jaime und ich gleichzeitig zurückfuhren. »Fort? Fort? Du lügst. Molly O’Casey ist nicht …«
    Sie unterbrach sich wieder; ihr Gesicht schwenkte in die andere Richtung. Dann begann sie zu jammern, ein messerscharfes Heulen, bei dem wir alle drei weiter zurückwichen, bevor Jaime und ich rückwärts gegen Clay stießen.
    »Fort«, klagte Tee. »Oh, die Närrin. Ich wollte sie warnen. Ich habe es versucht. Und jetzt ist sie verloren. Sklavin für alle Ewigkeit.«
    Sie richtete sich auf; die Glieder entknoteten sich, als sie aus dem Schatten herauskam, und Jaime konnte den ersten richtigen Blick auf die Nekromantin werfen. Ein Wimmern entfuhr ihr, das sie sofort verschluckte, aber ihr Gesicht war weiß vor Entsetzen und Unglauben darüber, dass dieses … Ding einmal ein Mensch gewesen war und, schlimmer, ein Mensch ihrer eigenen Art.
    »Du wirst auf mich hören, Mädchen, nicht wahr? Du wirst deine Ohren der Wahrheit nicht verschließen.«
    Kleiderfetzen hingen von dem madenbleichen Körper; die Gliedmaßen waren so dünn und weiß, dass sie mehr Knochen als Fleisch zu sein schienen.
    »Sie sagen uns, wir werden frei sein, wenn wir gestorben sind«, flüsterte sie, »aber es ist Täuschung. Die große Lüge. Wir glauben, wir wären im Leben Sklaven … beugen uns dem Willen anderer, gehetzt von den Lebenden, gehetzt von den Toten? Es ist nichts verglichen mit dem, was auf uns wartet, wenn wir tot sind.« Sie schwenkte die knochendürren Arme über dem Kopf, als versuchte sie, Fliegen zu verscheuchen; ihre Lippen waren zu einem gutturalen Fauchen verzerrt. »Nein, ich höre nicht zu. Ihr lügt. Ich weiß, dass ihr lügt. Ihr wollt mich irreführen. Mich in eure Welt ziehen. Aber ich kenne das Geheimnis. Ich weiß, wie ich am Leben bleibe, bis ich die Antwort gefunden habe.«
    Ihr Totenschädelgesicht fuhr zu Jaime herum. »Willst du das Geheimnis hören, Mollys Mädchen?«
    »Nein«, sagte Zoe, während sie sich mit einem schnellen Schritt dazwischenschob. »Ich … ich glaube nicht, dass sie so weit ist, Tee. Warte lieber,

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