Blut: Ein Kay-Scarpetta-Roman (German Edition)
wird.« Ich weise auf den Schreibtisch. »Zum Beispiel, dass das Wasserzeichen fehlt. Ich sorge dafür, dass mein Verwaltungschef den gleichen Briefkopf und das gleiche Kuvert sofort an Sie auf den Weg bringt. Dann können Sie sie unter die Lupe nehmen und haben einen unwiderlegbaren Beweis für meine Aussage.«
»Ein Wasserzeichen?«
»Hier ist keines. Vermutlich wird man unter dem Mikroskop oder durch den Einsatz von Chemikalien auch feststellen, dass es ein anderes Papier ist. Und möglicherweise auch nicht die identische Schriftart. Keine Ahnung. Oh, Überraschung, hier drin hat man keine Verbindung. Dann schicke ich es eben später ab.«
Ich speichere die Fotos und die SMS an Bryce als Entwurf. Als ich an Chang vorbeiblicke, stelle ich fest, dass kein Gesicht mehr durch die Glasscheibe der Zelle gegenüber nach draußen schaut.
»Natürlich kontrolliert das Gefängnis die eingehende Post«, sage ich zu Chang. »In anderen Worten wurde der Umschlag bei seinem Eintreffen überprüft. Das heißt entweder eingescannt oder in Kathleens Gegenwart geöffnet, wie der übliche Ablauf eben aussieht. Könnten Sie vielleicht herausfinden, was sonst noch in dem Umschlag war? Für ein einziges Blatt Papier und einen großen weißen Umschlag muss man nämlich nicht einen Dollar und sechsundsiebzig Cent Porto bezahlen, was heißt, dass das vermutlich nicht alles war. Der Absender könnte das Kuvert natürlich auch überfrankiert haben.«
»Also haben Sie nicht …«, setzt er an und blickt sich dabei um.
»Wirklich nicht.« Ich schüttle den Kopf. Ich habe diesen Brief weder geschrieben noch ihn und den restlichen Inhalt des Umschlags abgeschickt. »Wo sind denn die anderen?«
»Sie haben die Frau an einen ruhigen Ort gebracht, wo Dr. Dengate sie zu ihren Beobachtungen befragen kann. Natürlich schmückt sie ihre Geschichte immer weiter aus.« Er meint Ellenora. »Aber Officer Macon ist noch da.« Das sagt er so laut, dass Officer Macon ihn auch sicher hört.
»Könnten Sie ihn fragen, ob Kathleen Lawler in den letzten Tagen etwas mit der Post bekommen hat?« Die Bemerkung, dass Chang nicht erwarten soll, über einen Brief oder sonstige Vorgänge in dieser Einrichtung die Wahrheit zu erfahren, verkneife ich mir.
Dann ziehe ich neue Handschuhe an, nehme den Brief, der aussieht wie auf meinem Büropapier geschrieben, und halte ihn wieder ans Licht. Zu meiner Erleichterung ist da tatsächlich kein Wasserzeichen. Gleichzeitig habe ich den Verdacht, der Fälscher könnte nicht wissen, dass das CFC ein preiswertes Recyclingpapier mit fünfundzwanzig Prozent Altpapieranteil benutzt und seinen Briefwechsel sowie Dokumente mit einem Wasserzeichen vor genau dieser Gefahr schützt. Während es möglich ist, eine mehr oder weniger glaubhafte Kopie meines Briefkopfes oder anderer von mir ausgestellter Urkunden anzufertigen, kann man so ein Wasserzeichen nicht nachmachen. Und das heißt, dass man einen Brief von mir nur dann glaubhaft fälschen kann, wenn man Zugriff auf das echte Briefpapier des CFC hat. Mir schießt durch den Kopf, dass es den Absender womöglich gar nicht kümmert, ob es ihm gelingt, Polizei, Wissenschaftler oder mich an der Nase herumzuführen. Dieser Brief hat vielleicht nur den Zweck verfolgt, allen weiszumachen, dass er von mir kommt.
Ich falte den Bogen in der Mitte zusammen, so wie ich ihn vorgefunden habe, und stecke ihn wieder in den Umschlag. Dieser ist wirklich ungewöhnlich groß, weshalb ich mich frage, was sonst noch darin war. Was soll ich Kathleen Lawler geschickt haben? Was hat sie erhalten, das angeblich von mir stammte? Wer tut so, als wäre er ich, und was bezweckt er damit? Ich erinnere mich an Tara Grimms vielsagende Andeutungen von gestern, ich sei so zugänglich. Außerdem hat Kathleen mich als großzügig bezeichnet, beides Bemerkungen, die mich ein wenig stutzig gemacht haben. Ich versuche, mir Kathleens genaue Worte ins Gedächtnis zu rufen. Sie sagte etwas über Menschen wie mich, die an Menschen wie sie dächten, und dass ich mich um sie kümmern würde. Damals dachte ich, sie spiele damit auf meinen Besuch an.
In Wirklichkeit aber hat sie sich für meinen Brief und das, was sich möglicherweise sonst noch darin befunden hat, bedankt. Sicher hat sie den gefälschten Brief erhalten, bevor ich sie gestern sah. Er ist am 26. Juni um sechzehn Uhr fünfundvierzig in Savannah abgestempelt worden. Abgeschickt wurde er von einem Ort, vermutlich einem Postamt, mit der Postleitzahl 31401. Vor
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