Blut: Ein Kay-Scarpetta-Roman (German Edition)
an, »würde ich nicht im Traum daran denken, Sie in Verbindung mit dem Tod dieser Menschen zu bringen. Normalerweise würde ich sagen, dass Ihre Anwesenheit keine gute Idee ist, da Sie die Tote persönlich kannten und sie gestern Abend besucht haben. Aber bei Ihnen liegt der Fall anders. Vielleicht haben Sie etwas Hilfreiches beobachtet. Es liegt also ganz an Ihnen, ob Sie lieber gehen möchten.«
»Meine größte Sorge ist, dass es weitere Opfer geben könnte«, antworte ich. »Insbesondere, wenn wir es mit einer Giftmordserie zu tun haben, was ich befürchte.«
»Damit sind Sie nicht allein.«
»Vermutlich sind Sie die Einzige, die sagen kann, ob hier etwas verändert wurde«, wendet sich Chang an mich. »Also wäre es wohl das Beste, wenn wir uns gemeinsam umschauen.« Die Kamera blitzt und die Blende klickt, als er den Telefonhörer unter dem Bett fotografiert.
Im Laufe des Tages habe ich Hochachtung vor Sammy Chang bekommen und kann mir denken, was in ihm vorgeht. Er ist ein fähiger Ermittler, klug, aufmerksam und sehr gut ausgebildet. Es gehört zu seinem Beruf, alles gnadenlos sachlich zu betrachten. Auch wenn er noch so große Stücke auf mich hält, wäre es dumm von ihm, nicht so viele Informationen wie möglich aus mir herauszuholen.
»Bis jetzt kann ich keinen Hinweis darauf entdecken, dass seit meinem und Marinos Besuch jemand außer Jaime in der Wohnung gewesen ist«, beginne ich.
»Läuft etwas zwischen den beiden?«, fragt Chang.
»Nicht dass ich wüsste, und ich kann es mir auch nur schwer vorstellen. Er hat zwei Wochen Urlaub am CFC genommen, um ihr hier mit dem Fall Jordan zu helfen. So weit mir bekannt ist, haben sie in dieser Wohnung zusammengearbeitet.«
Chang mustert den Telefonhörer, den er unter dem Bett hervorgeangelt hat. Dabei hält er ihn zwischen zwei behandschuhten Fingerspitzen, um ihn so wenig wie möglich zu berühren. »Vermutlich ist das Zeitverschwendung«, meint er. »Denn wahrscheinlich ist sie die Einzige, die ihn angefasst hat. Aber vielleicht sollte ich ihn mitnehmen, um auf Nummer sicher zu gehen. Was würden Sie tun?« Er sieht mich an.
»Ich würde ihn auf Fingerabdrücke und DNA untersuchen lassen. Außerdem würde ich Abstriche für eine chemische Analyse nehmen.«
»Könnte jemand das Telefon vergiftet haben?«, fragt er, ohne eine Miene zu verziehen.
»Chemische und biologische Giftstoffe können auch über die Haut und die Schleimhäute aufgenommen werden. Obwohl ich in diesem Fall daran zweifle. Dann hätten wir inzwischen mehr Opfer. Zum Beispiel uns.«
»Und Sie haben dieses Telefon hier nicht irgendwann benutzt. « Sein behandschuhter Finger drückt auf den Menüknopf.
»Ich war gestern Abend nicht in diesem Teil der Wohnung.«
»Um ein Uhr zweiunddreißig heute Morgen wurde eine Nummer mit Vorwahl neun-eins-sieben angerufen.« Chang überprüft die letzten von Jaimes Telefon getätigten Anrufe. »Offenbar war das der letzte Anruf von diesem Apparat.« Er liest die Nummer laut vor, während er sie sich notiert.
Sie kommt mir bekannt vor, doch ich brauche einen Moment, bis der Groschen fällt.
»Lucy. Meine Nichte. Das ist ihre alte Mobilfunknummer, als sie noch in New York wohnte. Nach dem Umzug nach Boston hat sie die Nummer geändert. Das war Anfang dieses Jahres, im Januar vielleicht. Ich bin nicht sicher, ob sie unter dieser Nummer noch erreichbar ist.«
Anscheinend wusste Jaime nicht, dass Lucy eine neue Nummer hat. Sieht aus, als hätte sie es ernst gemeint, als sie den Kontakt mit Lucy endgültig abbrach. Bis heute am frühen Morgen.
»Haben Sie eine Idee, warum sie versucht haben könnte, Ihre Nichte morgens um ein Uhr zweiunddreißig anzurufen?«
»Jaime und ich haben über sie geredet«, erkläre ich. »Und zwar über ihre Beziehung und warum sie geendet hat. Vielleicht ist sie ja sentimental geworden. Keine Ahnung.«
»Was für eine Beziehung?«
»Sie waren einige Jahre lang zusammen.«
»Was heißt zusammen?«
»Lebensgefährtinnen. Ein Paar.«
Chang verstaut den Hörer in einem Asservatenbeutel. »Und wann sind Sie gestern Nacht gegangen?«
»Etwa gegen eins.«
»Also ungefähr eine halbe Stunde bevor sie die alte Nummer Ihrer Nichte angerufen und beim Auflegen das Telefon fallen gelassen hat, sodass es unter dem Bett gelandet ist. Das könnte darauf hindeuten, dass sie in diesem Moment ein Problem gehabt haben muss. Oder sehr betrunken war.«
»Das wäre möglich«, bestätige ich.
»Waren Sie vor Ihrem gestrigen Besuch
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