Blut: Ein Kay-Scarpetta-Roman (German Edition)
schon einmal in dieser Wohnung?«
»Ich habe Ihnen doch bereits erzählt, dass ich gestern das erste Mal hier war«, erinnere ich ihn.
»Was ist mit Pete Marino?«
»Mir ist nicht bekannt, dass er irgendwann gestern Nacht noch einmal hier war«, erwidere ich. »Aber ich war nicht die ganze Zeit über mit ihm zusammen. Er hat mich bei meiner Ankunft hier erwartet.«
»Interessant, dass er einen Schlüssel hat.« Chang steht auf und fängt an, den Asservatenbeutel zu beschriften.
»Vermutlich, weil die Wohnung auch das Büro der beiden war.«
»Wie lief das gestrige Essen ab?«, erkundigt er sich.
»Jaime hat alles, bis auf das Sushi, selbst mitgebracht und es uns im Wohnzimmer serviert. Danach, es muss so gegen halb elf oder vielleicht Viertel vor elf gewesen sein, hat Marino uns eine Weile allein gelassen. Er fuhr etwa um eins vor dem Haus vor, um mich abzuholen. Jaime wirkte ein wenig betrunken. Sie hatte Wein und Scotch intus, und ihre Sprache war leicht verwaschen. Mittlerweile denke ich, dass dies nicht nur am Alkohol lag. Erweiterte Pupillen. Sprachschwierigkeiten. Sie hatte Mühe, die Augen offen zu halten. Das war etwa zweieinhalb oder drei Stunden nachdem sie das Sushi gegessen hatte.«
»Erweiterte Pupillen können durch alle möglichen Drogen hervorgerufen werden.« Colin drückt mit dem Finger auf einen Arm und ein Bein und notiert sich den Grad der weißen Verfärbung. »Amphetamine, Kokain, Beruhigungsmittel. Und natürlich Alkohol. Haben Sie vielleicht bemerkt, ob sie während Ihres Besuchs irgendetwas eingenommen hat?«
»Ich habe nichts dergleichen gesehen und auch keinen Grund zu dieser Vermutung. Sie hat getrunken. Einige Gläser Wein und auch ein paar Scotch.«
»Was war, nachdem Sie gegangen sind? Was haben Sie gemacht? Wo sind Sie hin?«, fragt Chang.
Ich erkläre ihm, dass wir eine Weile damit verbracht haben, zum früheren Haus der Jordans zu fahren und den Fall zu erörtern. Gegen zwei Uhr seien wir dann ins Hotel zurückgekehrt.
»Haben Sie gesehen, wie Marino in sein Zimmer ging?«
»Er hatte etwas im Auto vergessen und wollte es holen. Ich bin allein im Lift zu meinem Zimmer gefahren.«
»Er hat sie also ins Hotel begleitet und ist dann zu seinem Auto zurückgekehrt.«
»Es war ein Parkwächter vor Ort, der wissen müsste, ob Marino wieder weggefahren ist. Außerdem hatte der Transporter schwere technische Mängel, weshalb er ihn heute Morgen in die Werkstatt gebracht hat.«
»Die Raumtemperatur beträgt dreiundzwanzig Grad. Die Körpertemperatur fünfundzwanzig«, verkündet Colin, während er Bergers Leiche von der Bettkante schiebt.
Ihre Arme und Beine sperren sich, sodass er Gewalt anwenden muss, um sie zu bewegen. Ich kann es kaum mit ansehen. Und das, obwohl ich schon unzählige Male die Leichenstarre gebrochen habe und eigentlich keinen Gedanken daran verschwende, wenn ich die Toten zwinge, ihre Abwehrhaltung aufzugeben. Aber jetzt halte ich den Anblick kaum aus. Ich denke an die Sushitüte, die ich nach oben gebracht habe, und fühle mich schuldig. Warum bin ich nicht stutzig geworden, als diese Frau gestern Abend auf der dunklen Straße aufgetaucht ist? Warum habe ich nicht nachgehakt, als Jaime angedeutet hat, sie habe gar kein Sushi bestellt?
»Sollte ich hier sonst noch auf etwas achten?«, fragt mich Chang.
»Das umgekippte Glas. Und ich würde auch Proben von der Flüssigkeit auf dem Nachttisch nehmen, die offenbar verschütteter Scotch ist. Doch vielleicht sollten Sie damit warten, bis wir uns mit den Essensresten und dem Inhalt des Mülleimers befassen. Alles, was sie gegessen und getrunken haben könnte, muss untersucht werden.«
27
Die verspiegelten Türen des Badezimmerschränkchens stehen weit offen. Der Inhalt ist wild über die Regale, die Ablage aus Granit, das Waschbecken und den Boden verstreut, als hätte ein Sturmwind hier getobt. Eine Nagelhautschere, eine Pinzette, Nagelfeilen, Augentropfen, Zahnpasta, Zahnseide, rezeptfreie Schmerztabletten, Peelingcremes und Gesichtswasserflaschen liegen herum. Außerdem noch rezeptpflichtige Medikamente wie das Schlafmittel Zolpidem und der Angstlöser Tavor. Jaime litt an Schlafstörungen. Sie stand unter Anspannung, war eitel und konnte sich mit dem Älterwerden nicht anfreunden. Doch nichts, was sie vorrätig hatte, um ihre üblichen Beschwerden und Unpässlichkeiten zu bekämpfen, konnte den Feind niederringen, der sich in den letzten Stunden und Minuten ihres Lebens ihrer bemächtigte.
Als ich ihr
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