Blut: Ein Kay-Scarpetta-Roman (German Edition)
er hinzu und meint seine Exfrau. »Rückblickend betrachtet, schaudert mir. Man kann es sogar von Honig kriegen.«
»Das ist eigentlich nur ein Risiko für Kleinkinder«, erwidere ich geistesabwesend, weil ich das Telefonat belausche. »Ihr Immunsystem ist noch nicht so robust wie bei Erwachsenen. Ich glaube, du kannst gefahrlos Honig essen.«
»Nichts da. Ich verzichte auf Zucker und Süßstoff und lasse in Zukunft außerdem die Finger von Honig, Selbsteingemachtem und vielleicht sogar von Salatbars.«
»Man kann das Zeug für zwanzig Dollar pro Röhrchen in China bestellen.« Lucy hat ihr MacBook auf dem Esstisch aufgebaut und tippt mit einer Hand, während sie mit der anderen ein Stück Brot in den Mund steckt. »Unter falschem Namen und falscher E-Mail-Adresse. Man braucht nicht einmal Arzt zu sein oder in einem Labor zu arbeiten. Bestellen Sie nach Wunsch von Ihren eigenen vier Wänden aus. Ich könnte es sofort tun. Es wundert mich, dass so etwas nicht schon früher passiert ist.«
Ich fange an, das Geschirr abzuräumen, und überlege, ob ich General Briggs anrufen sollte.
»Das stärkste Gift auf diesem Planeten sollte nicht so leicht verfügbar sein«, stellt Lucy fest.
»Das war es früher auch nicht«, erwidere ich. »Botulinum-A ist inzwischen deshalb so weit verbreitet, weil es in verschiedenen medizinischen Bereichen verwendet wird. Nicht nur für kosmetische Zwecke, sondern auch gegen Migräne, Muskelzuckungen im Gesicht und andere Krämpfe, Ptyalismus, also vermehrten Speichelfluss, Schielen, unwillkürliche Muskelanspannungen und verschwitzte Handflächen.«
»Wie viel müsstest du nehmen, wenn du es röhrchenweise im Internet kaufen würdest?« Es klirrt, als Marino leere Bierflaschen in die Altglastüte in der Küche wirft, wohin er mir gefolgt ist.
»Es wird in kristalliner Form geliefert, als weißes Pulver. Vakuumgetrocknetes Clostridium botulinum Typ A, das man wieder auflösen muss.« Ich drehe den Hahn auf und warte darauf, dass das Wasser warm wird.
»Und dann spritzt man es in ein Päckchen mit Lebensmitteln «, sagt Marino. »Oder in einen Transportbehälter vom Imbiss.«
»So einfach ist das. Beängstigend.«
»Wenn man genug davon in die Finger kriegt, könnte man also Tausende von Menschen umlegen.« Marino nimmt ein Geschirrtuch und fängt an abzutrocknen, während ich spüle.
»Ja, wenn du Produkte wie abgepackte Lebensmittel oder Getränke damit versetzt, die nicht stark genug erhitzt werden, um das Gift zu zerstören«, antworte ich. Genau das ist es, was mir Angst macht.
»Nun, ich denke, du solltest Briggs anrufen.« Er greift nach einem Teller.
»Ich weiß«, entgegne ich. »Allerdings könnte das schwierig werden.«
»Warum? Du brauchst nur seine Nummer zu wählen und ihm zu erzählen, was Sache ist.«
»Ich würde damit Schritte einleiten, bevor die Laborergebnisse da sind.« Ich reiche ihm ein Weinglas.
»Dawn Kincaid hat Botulismus. Das ist ein Laborergebnis.« Er öffnet Schränke und beginnt, Utensilien wegzuräumen. »Wenn du mich fragst, haben wir keine weitere Bestätigung mehr nötig. Schließlich haben wir schon einiges herausgefunden und müssen jetzt anfangen, das Puzzle zusammenzusetzen. Zum Beispiel rauskriegen, wie der Mist in Kathleen Lawlers Waschbecken gekommen ist und womit sie sich den Fuß verbrannt hat.«
»Vielleicht verbrannt. Ich spekuliere nur.«
»Er ist derjenige, mit dem du spekulieren solltest.«
Er meint General Briggs, den obersten Rechtsmediziner der Streitkräfte. Er ist mein Vorgesetzter und außerdem ein alter Freund aus meinen Anfangstagen im Walter Reed Army Medical Center. Marino möchte, dass ich mit Briggs rede. Ich soll ihm erklären, dass Kathleen Lawlers Mageninhalt aus unverdautem Huhn, Nudeln und Käse besteht, die möglicherweise mit Botulinumtoxin vergiftet wurden, und dass die Untersuchung mit dem Elektronenmikroskop und die energiedispersive Röntgenfluoreszenzanalyse der seltsam riechenden Substanz in ihrem Waschbecken Magnesium, Eisen und Sodium ergeben haben. Meine Antwort auf Colin Dengates Frage, ob das Vorhandensein dieser Elemente in dem kreideähnlichen Rückstand mir etwas sagte, lautete ja. Leider tut es das.
Wenn man eine Mischung aus lebensmitteltauglichem Eisen, Magnesium und Salz mit Wasser in Kontakt bringt, führt das zu einer exothermischen Reaktion, die rasch Hitze erzeugt. Es können Temperaturen von bis zu hundert Grad Celsius entstehen, eine Methode, die bei flammenlosen Kochern zum
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