Blut: Ein Kay-Scarpetta-Roman (German Edition)
meinem Rücken mit ihr verbündest.«
»Ich arbeite für dich, aber ich helfe ihr auch. Ich habe meinen Job nicht hingeschmissen, Doc«, antwortet er in einem für seine Begriffe erstaunlich sanften Tonfall. »So etwas Mieses würde ich dir nie antun.«
Ich sage ihm nicht, er hätte mir in den gut zwanzig Jahren unserer Freundschaft und Zusammenarbeit schon genug Mieses angetan. Außerdem kann ich nicht anders, als an Kathleen Lawlers Worte zu denken. Ich bekomme sie einfach nicht aus dem Kopf. Jack Fielding hat ihr in den frühen Neunzigern geschrieben, und zwar auf liniertem Papier wie ein Schuljunge – ein unreifer, pubertärer Schuljunge, der einen Groll gegen mich hegte und mir weh tun wollte. Er und Marino dachten, ich wäre nicht warm und menschlich genug und müsste mal so richtig durchgevögelt werden. Und kurz verwandelt sich der Marino, der jetzt vor mir steht, in den Marino von damals.
Ich stelle ihn mir in seinem unbeschrifteten dunkelblauen Crown Victoria mit den vielen Antennen, Blaulichtern, zerknitterten Fastfood-Tüten und dem überquellenden Aschenbecher vor. Die Luft war mit abgestandenem Zigarettenqualm geschwängert, den auch die am Rückspiegel baumelnden Lufterfrischer nicht übertünchen konnten. Und ich erinnere mich an den Trotz in seinem Blick, als er mir unverblümt ins Gesicht sagte, ich solle mir nichts darauf einbilden, dass ich der erste weibliche Chief Medical Examiner von Virginia sei. Für ihn bliebe ich Arsch und Titten. Ich weiß noch, wie ich mich jeden Abend gefühlt habe, wenn ich in der Hauptstadt der Konföderierten, wo ich eindeutig nicht hingehörte, nach Hause ging.
»Doc?«
In Richmond, wo ich niemanden kannte.
»Was ist?«
Und ich war so allein.
»Hey, ist alles in Ordnung?«
Ich sehe Marino an, der seitdem ebenfalls zwanzig Lebensjahre hinter sich gebracht hat. Kahl wie ein Baseball und von der Sonne gegerbt, ragt er über mir auf.
»Und wenn Kathleen Lawler sich geweigert hätte, dieses Spiel mitzuspielen?«, frage ich ihn. »Was, wenn sie mir den Zettel mit Jaimes Telefonnummer nicht gegeben hätte? Was dann?«
»Das hat mir auch Sorgen gemacht.« Er geht zu einem Fenster und starrt in die Nacht hinaus. »Allerdings wusste Jaime genau, dass Kathleen mitmachen würde«, sagt er, während er mir weiter den Rücken zukehrt, hinunterblickt und möglicherweise Ausschau nach Jaime hält.
»Aha, sie wusste es also genau«, entgegne ich. »Das gefällt mir gar nicht.«
»Kann ich mir denken, doch es hat seine Gründe.« Er kommt näher und bleibt stehen. »Jaime konnte sich in dieser Phase noch nicht direkt an dich wenden. Das Sicherste war, dich zuerst anrufen zu lassen und alles so zu organisieren, dass es nicht auffliegt.«
»Ist das ein juristischer Trick oder will sie sich aus irgendeinem Grund absichern?«
»Nichts darf darauf hinweisen, dass Jaime dieses Treffen angeregt oder sich in der derzeitigen Situation mit dir in Verbindung gesetzt hat, so einfach ist das«, erwidert er. »Offiziell wirst du sie morgen aus beruflichen Gründen in der Gerichtsmedizin sehen. Aber du warst niemals hier in dieser Wohnung.«
»Mal sehen, ob ich alles richtig verstanden habe. Ich soll so tun, als wäre ich jetzt nicht hier und als hätte ich mich heute Abend nicht mit Jaime getroffen.«
»Genau.«
»Ich soll also das Lügengebäude unterstützen, das ihr beide da zusammengezimmert habt.«
»Es ist notwendig und zu deinem eigenen Besten.«
»Ich hatte nicht vor, mich mit jemandem zu treffen, und habe keine Ahnung, welche beruflichen Gründe du meinen könntest.« Allerdings habe ich so ein Gefühl, dass ich es doch weiß, denn mir fallen die Autopsieberichte im Mordfall Jordan und die Beweisstücke ein, die in der hiesigen Gerichtsmedizin und den kriminaltechnischen Labors gelagert sind. »Morgen früh reise ich ab«, füge ich hinzu und wende meine Aufmerksamkeit wieder den auf dem Boden neben dem Schreibtisch gestapelten Ziehharmonikaordnern zu. Jeder hat eine andersfarbige Rückseite und ist mit Initialen oder Abkürzungen gekennzeichnet, die mir nichts sagen.
»Ich hole dich um acht Uhr ab.« Marino steht mitten im Zimmer wie bestellt und nicht abgeholt. Seine massige Gestalt lässt die Umgebung kleiner wirken.
»Vielleicht wäre es hilfreich, wenn du mir verraten würdest, worum es bei diesem Treffen gehen wird.«
»Mit dir ist schwer zu reden, wenn du so sauer bist wie jetzt.« Er schaut auf mich hinunter. Ich sitze, und er steht. Ich mag das
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