Blut: Ein Kay-Scarpetta-Roman (German Edition)
nicht.
»Wenn ich mich recht entsinne, bist du mein Mitarbeiter, nicht der von Jaime. Deshalb solltest du mit mir an einem Strang ziehen und nicht mit ihr oder sonst jemandem.« Obwohl ich zornig klinge, bin ich in Wirklichkeit verletzt. »Wärst du bitte so gut, dich hinzusetzen?«
»Wenn ich dir verraten hätte, dass ich Jaime gern helfen und einiges gern anders regeln würde als bisher, hättest du es mir verboten.« Das Leder knirscht laut, als er in den tiefen Lehnsessel sinkt.
»Ich weiß nicht, was du meinst oder wie du darauf kommst, meine Reaktion vorhersagen zu können.« Es ist, als würde er mir Bockigkeit vorwerfen.
»Du hast deshalb nicht die leiseste Ahnung, was gespielt wird, weil sich niemand befugt fühlt, dir reinen Wein einzuschenken. « Als er sich vorbeugt, ruhen seine gewaltigen Arme auf den nackten Knien, die den Durchmesser von kleinen Felgenkappen haben. »Es gibt Leute, die dich vernichten wollen.«
»Ich denke, es steht fest, dass …«, setze ich an, doch er fällt mir ins Wort.
»Nein.« Er schüttelt den Kopf. Die Stoppeln an seinem gebräunten kräftigen Kiefer sehen aus wie Sand. »Du glaubst, alles im Griff zu haben, aber nichts da. Dawn Kincaid kommt vielleicht nicht an dich ran, solange sie in der Klapse sitzt. Doch es gibt andere Mittel und Wege. Und andere Personen. Sie plant, dich fertigzumachen.«
»Wie soll sie sich mit jemandem über kriminelle Pläne austauschen, ohne dass das Personal im Butler Hospital, die Polizei oder das FBI Wind davon bekommen?«, wende ich, ganz die Stimme der Vernunft, ein und kämpfe dabei gegen meine aufgewühlten Gefühle. Ich will nicht bis ins Mark gekränkt sein, weil Jack und Marino vor zwanzig Jahren hinter meinem Rücken über mich gelästert haben.
»Das ist ganz einfach.« Er sieht mich unverwandt an. »Durch ihre Mistkerle von Anwälten zum Beispiel. Sie dürfen unter vier Augen mit ihr reden, so wie Jaime mit Kathleen Lawler. Falls man befürchtet, trotzdem überwacht oder abgehört zu werden, verständigt man sich eben schriftlich. Man reicht sich Zettel weiter. Man schreibt es auf einen Notizblock, die Mandantin liest es und sagt nichts dazu.«
»Ich bezweifle stark, dass Dawn Kincaids Anwälte einen Auftragskiller angeheuert haben, falls du das meinst.«
»Ob ein Auftragskiller im Spiel ist, weiß ich nicht«, räumt er ein. »Jedenfalls wollen sie dich vernichten und hinter Gitter bringen. Ganz gleich, wie, du schwebst in großer Gefahr.«
Ich merke ihm an, dass er von seinen Worten überzeugt ist, und frage mich, wie viel davon Jaime ihm eingeflüstert hat. Was hat sie ausgeheckt und warum?
»Wahrscheinlich war das Risiko, in deinem Transporter zu
verunglücken, größer als das, von einem Auftragskiller umgelegt zu werden«, gebe ich zurück. »Was, wenn ich irgendwo in der Einöde eine Panne gehabt hätte?«
»Das hätte ich mitgekriegt. Ich wusste nämlich den ganzen Tag genau, wo du warst, bis hin zu der Waffenhandlung zwei Kilometer nördlich der Dean Forest Road. Ich habe ein GPSGerät am Transporter angebracht und kann deshalb auf einer Google-Karte ausgesprochen genau verfolgen, wo er sich gerade befindet.«
»Allmählich wird es mir zu dumm. Wer hat das alles eingefädelt und was ist der wahre Grund?«, frage ich. »Ich glaube nämlich nicht, dass es deine Idee war. Jaime ist hier, um mit Lola Daggette zu sprechen. Aber was geht das uns beide an? Was will sie wirklich?«
»Vor etwa zwei Monaten hat Jaime im CFC angerufen«, erwidert er. »Da ich zufällig gerade bei Bryce im Büro war, habe ich mit ihr gesprochen. Sie sagte, sie überprüfe Informationen im Fall Lola Daggette, die im selben Gefängnis einsitzt wie Kathleen Lawler. Jaime interessierte sich angeblich nur dafür, ob ich etwas über Lola Daggette weiß und ob im Rahmen der Ermittlungen gegen Dawn Kincaid vielleicht ihr Name gefallen ist …«
»Und du hast mir nie davon erzählt«, unterbreche ich ihn.
»Sie wollte mit mir reden, nicht mit dir«, entgegnet er, als leite Jaime Berger das CFC. Oder gar er selbst. »Ich bin bald dahintergekommen, dass sie in Wahrheit ein ganz anderes Anliegen hatte. Erstens rief sie nicht von der Staatsanwaltschaft aus an. Die Nummer war unterdrückt. Also war sie mitten am Tag zu Hause und telefonierte, was ich ziemlich seltsam fand. Dann meinte sie: ›Hier geht es derart rund, dass ich erst mal eine Auszeit brauche.‹ Als ich noch für sie gearbeitet hatte, war das unser Code, der bedeutete, dass sie unter
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