Blut: Ein Kay-Scarpetta-Roman (German Edition)
werde von der Exfreundin meiner Nichte getäuscht und benutzt.
»Du erinnerst dich sicher ans Il Pasticcio, nur ein paar Blocks von hier.« Jaime holt mit Alufolie beschichtete Pappbehälter mit Plastikdeckeln aus den Tüten. Außerdem einen Literbecher aus Plastik, der wahrscheinlich Suppe enthält. Bald ist das Loft mit dem Duft von Kräutern, Schalotten und Speck erfüllt. »Tja, inzwischen heißt es Broughton and Bull.« Sie öffnet eine Schublade und sucht Besteck und Papierservietten zusammen. »Die Terrine mit Silberzwiebeln ist ein Gedicht. Dazu geschmortes Kaninchen. Eine gebundene Shrimpssuppe mit Poblanoschoten-Tomatenöl. Geröstete Kammmuscheln mit in Speck eingewickelten Jalapenos.« Sie öffnet einen Behälter nach dem anderen. »Ich dachte, jeder bedient sich selbst. Oder vielleicht verteile ich das Essen besser«, überlegt sie es sich anders und schaut sich um, als erwarte sie, dass in der ihr offenbar fremden Mietwohnung plötzlich ein Esstisch erscheint.
»Hoffentlich hast du mir die Shrimps vom Grill mitgebracht«, sagt Marino von seinem Sessel aus.
»Und Pommes«, erwidert Berger, als seien Marino und er alte Kumpel. »Und Makkaroni mit Käsesauce und Trüffelöl.«
»Ich verzichte.« Er verzieht das Gesicht.
»Es ist gut, auch mal etwas Neues zu versuchen.«
»Vergiss Trüffel und Trüffelöl oder ähnliches Zeug. Ich brauche nichts zu versuchen, das nach Arsch stinkt.« Marino hebt einen braunen Ziehharmonikaordner von dem Stapel auf dem Boden neben dem Schreibtisch auf. BLR hat jemand mit schwarzem Magic Marker auf den Aufkleber geschrieben.
»Soll ich dir helfen?«, frage ich Jaime, stehe aber nicht auf. Ich spüre, dass sie mich nicht in ihrer Nähe haben will. Vielleicht bin ich ja auch diejenige, die sich distanziert und unberührbar fühlt.
»Bitte, bemüh dich nicht. Sogar ich kann Tüten aufmachen und Essen auf Teller legen. Ich bin zwar keine so gute Köchin wie du, aber wenigstens das kriege ich hin.«
»Dein Sushi ist im Kühlschrank«, meldet Marino.
»Mein Sushi? Okay, warum nicht.« Sie öffnet die Kühlschranktür und holt die Behältnisse heraus, die Marino dort verstaut hat. »Sie haben meine Kreditkartennummer in den Akten, weil ich, wie ich zugeben muss, süchtig bin. Mindestens drei Abende die Woche. Wahrscheinlich sollte ich mir allmählich Gedanken wegen der Quecksilberbelastung machen. Isst du immer noch kein Sushi, Kay?«
»Nein, immer noch nicht. Danke.«
»Ich glaube, ich gieße die Suppe in Kaffeebecher, falls es euch nicht stört. Wie weit seid ihr gekommen?« Sie sieht Marino an. »Erzähl mir, wo ihr aufgehört habt.«
»Weit genug, um zu wissen, welche Mühe ihr euch gegeben habt, um diesen Abend möglich zu machen«, antworte ich an seiner Statt.
»Ich muss mich wirklich entschuldigen«, wiederholt Jaime, was jedoch nicht so klingt, als täte es ihr leid.
Sie hört sich eher an, als sei sie überzeugt, das Recht zu haben, sich so zu verhalten.
»Ehrlich gesagt, ist es für mich das Wichtigste, dass du verstehst, was gespielt wird. Ich musste dabei einfach nur ausgesprochen vorsichtig vorgehen.« Sie sieht mich an, während sie sich in der Küche zu schaffen macht. »Ich halte es für meine moralische Pflicht, dich zu schützen. Vielleicht habe ich die Diskretion wie immer etwas übertrieben, weil ich es für unklug hielt, dich anzurufen, dir eine Mail zu schreiben oder mich direkt mit dir in Verbindung zu setzen. So kannst du, falls man dich fragt, wahrheitsgemäß antworten, dass ich es nicht getan habe. Du hast mich angerufen. Aber wer soll davon erfahren, solange du nicht beschließt, es jemandem mitzuteilen?«
»Wenn ich was mitzuteilen beschließe? Dass eine Strafgefangene mir einen Zettel zugesteckt hat und ich daraufhin zum nächsten öffentlichen Telefon gefahren bin, wie bei einer Schnitzeljagd im Ferienlager?«, entgegne ich.
»Ich habe Kathleen gestern befragt und wurde daran erinnert, dass sie sich auf deinen heutigen Besuch freut.«
»Wurde daran erinnert?«, wiederhole ich und werfe dabei einen Blick auf Marino. »Sicher wusstest du es ohnehin. Vermutlich arbeitest du mit Carter Roberts zusammen, dem Anwalt vom Georgia Innocence Project, der Leonard Brazzo angerufen hat.«
»Ich kann wahrheitsgemäß angeben, dass du mich kontaktiert hast, während du in eigener Sache in der Gegend warst«, beharrt Jaime.
»Einer Sache, die du in die Wege geleitet hast, um mich hierherzulocken «, antworte ich. »Daran ist nichts
Weitere Kostenlose Bücher