Blut: Ein Kay-Scarpetta-Roman (German Edition)
Mucks von sich geben, während man fixiert auf der Trage liegt. Aber man ist bei Bewusstsein und spürt, dass man keine Luft mehr bekommt. Durch die langanhaltende Wirkung des Pancuriumbromids ist die Muskulatur in der Brust gelähmt, und so erstickt man. Keiner der Zeugen ahnt, dass man ganz und gar nicht friedlich schläft, während man im Gesicht blau anläuft und nicht mehr atmen kann. Eine Minute, zwei Minuten, drei Minuten, vielleicht auch länger, stirbt man einen lautlosen und qualvollen Tod.«
Barrie Lou Rivers wurde von Colin Dengate obduziert, und ich kann mir schon denken, was er von Leuten hält, die unschuldige Opfer mit Arsensandwiches vergiften.
»Nur dass der Gefängnisdirektor Bescheid weiß.« Jaime holt eine Weinflasche und eine Cola light aus dem Kühlschrank und schiebt die Tür mit der Hüfte zu. »Der Henker weiß Bescheid. Der anonyme Arzt mit seiner Kapuze und der Schutzbrille weiß Bescheid und kann auf dem Monitor genau erkennen, wie dein Herz rast, bevor die Linie schließlich verflacht. Allerdings wollen einige der Leute, die das gesetzlich gebilligte Töten überwachen, das Hinrichtungskommando also, dass der Verurteilte leidet. Ihr Geheimauftrag lautet, ihm so viel Schmerzen und Angst wie möglich zuzufügen, ohne dass Anwälte, Richter oder die Öffentlichkeit davon erfahren. Das wird schon seit Jahrhunderten so gehandhabt. Die Axt des Henkers ist stumpf, oder er trifft daneben, sodass er noch ein paarmal zuschlagen muss. Beim Erhängen läuft etwas schief, weil die Schlinge verrutscht, sodass der Verurteilte langsam erdrosselt wird und, beobachtet von einer johlenden Menge, am Strick zappelt.«
Während ich einem Vortrag lausche, der mich sehr an eines von Jaime Bergers klassischen Eröffnungsplädoyers vor Gericht erinnert, weiß ich, dass er die meisten, die in diesem Teil der Welt etwas zu sagen haben, kalt lassen würde. Einschließlich gewisser Richter und Politiker und vor allem Colin Dengate. Ich kann mir Colin Dengates Haltung recht gut vorstellen, und zwar nicht nur, was das Schicksal der Jordans angeht, sondern auch hinsichtlich der Strafe, die Lola Daggette verdient. Ja, die Emotionen kochen tatsächlich hoch, insbesondere die meines durchsetzungsfähigen irischen Kollegen, der dem hiesigen kriminaltechnischen Labor des Georgia Bureau of Investigation, der Ermittlungsbehörde dieses Bundesstaats, vorsteht. Dass Jaime Berger eigens nach Savannah gekommen ist, wird ihn sicher nicht beeindrucken. Vermutlich wird er es eher als Einmischung empfinden. Ich habe den Verdacht, dass er ihr die kalte Schulter zeigen wird.
»Wie dir sicher bekannt ist, Kay, vertrete ich die Auffassung, dass wir die in Nazideutschland entwickelte Praxis, unerwünschte Elemente durch Euthanasie zu beseitigen, in den Vereinigten Staaten nicht nachahmen sollten. Es sollte gesetzlich verboten werden«, verkündet sie, während sie Sushi und Seetangsalat auf einem Teller drapiert. »Ärzte dürften sich nicht an Hinrichtungen beteiligen. Außerdem sind die tödlichen Medikamente immer schwieriger aufzutreiben. Da die amerikanischen Hersteller, die sie produzieren, um ihren guten Ruf fürchten, herrscht mittlerweile Knappheit. Aus diesem Grund waren einige Bundesstaaten gezwungen, die Drogen zu importieren, weshalb sie von zweifelhafter Herkunft und Qualität sind. Mitarbeiter von Strafanstalten sollten keinen legalen Zugriff auf solche Medikamente haben, und dennoch ändert sich nichts. Die Ärzte machen mit, die Apotheker lösen die Rezepte ein, und die Gefängnisse bekommen ihr Gift. Aber ganz gleich, wie man auch moralisch zu dieser Frage steht, ein anderer Fakt ist der: Lola hat die Jordans nicht umgebracht. Sie hat Clarence, Gloria, Josh und Brenda nicht auf dem Gewissen. Sie ist ihnen nie im Leben begegnet und war auch niemals in ihrem Haus.«
Ich werfe einen Blick auf Marino, der die Ausdrucke von Fotos studiert. Nach meinem letzten Wissensstand ist er ein Befürworter der Todesstrafe. Auge um Auge. Es ihnen mit gleicher Münze heimzahlen.
»Ich halte Lola Daggette für einen kaputten Menschen, eine Drogensüchtige mit einem Aggressionsproblem. Aber sie hat niemanden ermordet oder Beihilfe geleistet«, sagt er zu mir. »Aller Wahrscheinlichkeit nach ist sie von der Person, die sie den Racheengel nennt, reingelegt worden. Vermutlich fand sie es einfach nur lustig.«
»Wer fand es lustig?«
»Die wahre Täterin. Sie hat sich irgendeine Jugendliche geschnappt, die in einem Übergangswohnheim
Weitere Kostenlose Bücher