Blut: Ein Kay-Scarpetta-Roman (German Edition)
sie habe ihn zurückgewollt. Du hättest sie angegriffen. Es sei ihr zwar gelungen, dir das Messer zu entreißen, aber sie habe sich dabei übel die Hand zerschnitten, ein Fingerglied verloren und Nerven und Sehnen beschädigt. Dann hättest du ihr mit einer schweren Taschenlampe aus Metall auf den Kopf geschlagen. Sie wird beteuern, dass du sie umgebracht hättest, wenn Benton nicht im richtigen Moment in der Garage erschienen wäre. Sonst wäre sie jetzt tot.«
»Wird sie diese Anschuldigungen erst noch vorbringen, oder hat sie es schon getan?« Ich stelle den Teller weg und blicke sie an. Mein Appetit hat sich, unwiderbringlich für diesen Abend, in den hintersten Winkel zurückgezogen. Ich kann keinen Bissen mehr runterkriegen.
Wenn ich es nicht besser wüsste, müsste ich annehmen, dass Jaime Berger Dawn Kincaids Verteidigerin ist und mich nach Savannah gelockt hat, um mir das zu eröffnen.
»Sie hat es getan, und sie wird es auch weiter tun«, antwortet Jaime und nimmt ein wenig Seetangsalat zwischen die Spitzen ihrer Essstäbchen. »Und zwar gegenüber ihren Anwälten und in Briefen an Kathleen Lawler. Häftlinge dürfen anderen Häftlingen schreiben, wenn es sich um Familienangehörige handelt. Dawn ist so schlau, Kathleen inzwischen mit Mom anzusprechen. Liebe Mom , schreibt sie, und unterzeichnet mit Deine Dich liebende Tochter «, erklärt sie, als kenne sie diese Briefe, was vielleicht sogar zutrifft.
»Hat Kathleen ihr auch geschrieben?«, erkundige ich mich.
»Sie streitet es ab, aber sie lügt«, erwidert Jaime. »Auch wenn du es nur ungern hörst, Kay, spielt Dawn Kincaid ihre Rolle gut. Sie ist eine hochbegabte Wissenschaftlerin, die nun eine Hand nicht mehr richtig gebrauchen kann und wegen eines Traumas und einer Gehirnerschütterung, die als schwere Kopfverletzung mit bleibenden Schäden bezeichnet wird, mit psychischen Problemen zu kämpfen hat.«
»Simulantin.«
»Hübsch, charmant und jetzt an Bewusstseinsstörungen leidend. An Wahnvorstellungen und kognitiven Einschränkungen, weshalb sie ins Butler Hospital verlegt wurde.«
»Absichtliche Täuschung.«
»Ihre Anwälte geben dir die Schuld an dem Ganzen. Vielleicht solltest du dich darauf einstellen, dass sie auch noch Zivilklage gegen dich einreichen«, meint Jaime. »Außerdem waren dein heutiger Besuch bei ihrer Mutter und euer Schriftwechsel meiner Ansicht nach unklug, weil sie dein Verhalten in ein noch fragwürdigeres Licht tauchen.«
»Ein Kontakt, den du eingefädelt hast«, erinnere ich sie. Sie soll mich nicht für dumm verkaufen. »Ich bin deinetwegen hier.« Sie wollte mich in der schwächeren Position sehen.
»Niemand hat dich dazu gezwungen.«
»Das war überflüssig«, entgegne ich. »Du wusstest, dass ich es tun würde, und so hast du mich ins offene Messer laufen lassen.«
»Nun, ich war tatsächlich sicher, dass du kommen würdest, und ich empfehle dir, den Kontakt zu Kathleen endgültig abzubrechen «, weist Jaime mich an, als sei sie inzwischen meine Anwältin. »Ich halte ein Strafverfahren gegen dich zwar für eher unwahrscheinlich, aber es könnte dir ein Schmerzensgeldprozess drohen«, malt sie weiter den Teufel an die Wand.
»Wenn ein Einbrecher sich verletzt, während er dein Haus durchwühlt, verklagt er dich«, entgegne ich. »Jeder zerrt jeden vor Gericht. Das ist der neue Nationalsport und unweigerliches Nachspiel buchstäblich jeder Straftat. Zuerst versucht jemand, dich zu berauben, zu vergewaltigen oder zu ermorden. Vielleicht ist er ja sogar erfolgreich. Und dann geht er hin und verklagt dich oder deine Erben.«
»Ich möchte dich nicht verärgern, ängstigen oder in eine unangenehme Lage bringen.« Sie legt Essstäbchen und Serviette auf ihren leeren Teller.
»Aber natürlich.«
»Glaubst du, dass ich übertreibe?«
»Das habe ich nicht gesagt.«
»Als das FBI bei mir war, Kay, wollten sie wissen, ob ich bei dir jemals Stimmungsschwankungen, Gewaltneigungen oder andere Eigenschaften beobachtet hätte, die ein Grund zur Sorge gewesen seien. Seist du wahrheitsliebend? Hättest du Probleme mit Alkohol oder Drogen? Stimme es nicht, dass du damit geprahlt hättest, du könntest mit dem perfekten Mord durchkommen?«
»Ich habe niemals mit so etwas geprahlt. Außerdem war das, was in meiner Garage passiert ist, alles andere als perfekt.«
»Dann gibst du also zu, dass du Dawn Kincaid umbringen wolltest?«
»Ich gebe zu, dass ich mich nicht nur mit einer Taschenlampe aus meiner Küchenschublade
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