Blut: Ein Kay-Scarpetta-Roman (German Edition)
schenkt sich einen ordentlichen Schluck ohne Eis ein und kommt aus der Küche zurück.
»Dawn Kincaids Absicht. Die Absicht ihrer Anwälte«, erklärt Jaime. »Sie behaupten, Dawns Verletzungen seien die Folge eines Selbstverteidigungsversuchs. Allerdings warst nicht du diejenige, die sich verteidigen musste. Sondern sie.«
»Das war vorauszusehen«, erwidere ich. »Jack hat letztes Jahr zu Halloween Wally Jamison verstümmelt und dann dem sechsjährigen Mark Bishop Nägel in den Kopf geschlagen, bevor er den MIT-Studenten Eli Saltz getötet und zu guter Letzt mit seiner eigenen Waffe Selbstmord begangen hat. Mein Stellvertreter, der den Verstand verloren hatte und sich nicht mehr rechtfertigen kann, hat all diese Verbrechen verübt.«
»Und anschließend wolltest du, seine ebenfalls durchgedrehte Chefin, Dawn Kincaid umbringen.« Jaime setzt sich wieder. Der Geruch von Torf und gerösteten Früchten steigt mir in die Nase, als sie das Glas auf den Tisch stellt.
»Es wundert mich nicht, dass sie so ein Ammenmärchen erfindet. Mich würde der Teil ihrer Geschichte interessieren, in dem sie erklärt, was sie auf meinem Grundstück zu suchen hatte und warum sie sich nachts in meiner Garage herumgetrieben und zuvor den Bewegungsmelder in der Auffahrt schachmatt gesetzt hat.«
»Sie ist zu dir nach Cambridge gekommen, um ihren Hund abzuholen«, antwortet Jaime. »Du hattest ihren Greyhound Sock gestohlen, und sie wollte ihn zurück.«
»Verschon mich.« Zorn steigt in mir auf.
»Das Injektionsmesser hast du bei der Untersuchung des Tatorts an diesem Tag aus Jacks Keller mitgenommen …«
»Das Messer war bei meiner Ankunft schon längst nicht mehr da«, unterbreche ich sie. Meine Gereiztheit wächst. »Die Polizei wird dir bestätigen, dass man nur das leere Etui und CO2-Kartuschen gefunden hat.«
»Die Polizei will, dass Dawn Kincaid verurteilt wird, richtig? « Sie füllt mein Weinglas nach. »Und deshalb ist sie voreingenommen. Außerdem werden die Ermittlungen gegen sie dadurch kompliziert, dass dein Mann beim FBI und an der Untersuchung beteiligt ist. Das sieht nicht gerade nach Sachlichkeit und Objektivität aus, richtig?«
»Willst du damit andeuten, Benton könnte das Injektionsmesser vom Tatort entfernt haben oder wissen, dass ich schuldig bin, und meine Tat decken? Dass einer von uns beiden Beweismittel manipuliert oder auf sonstige Weise die Justiz behindert?«, halte ich ihr vor. Es ist schwer festzustellen, auf wessen Seite sie steht. Ich fühle mich von ihr im Stich gelassen.
»Es geht hier nicht um mich und darum, was ich andeuten könnte«, widerspricht Jaime. »Sondern um Dawns Behauptungen.«
»Was macht dich so sicher zu wissen, was sie behaupten wird?«
»Sie wird aussagen, du hättest eigens eine Schutzweste angezogen, während du am Abend eures verabredeten Treffens auf sie gewartet hast«, fährt Jaime fort. »Davor hast du dich vergewissert, dass die Maglite, die du bei dir hattest, nicht funktioniert, und außerdem die Glühbirne des Bewegungsmelders neben der Garage losgeschraubt, um später vorgeben zu können, du hättest nichts gesehen. Dass du in der Dunkelheit wild mit der Taschenlampe um dich geschlagen hättest, ein Reflex, weil du angegriffen worden sein willst, ist eine Lüge, denn in Wahrheit hast du Dawn in einen Hinterhalt gelockt.«
»Die Taschenlampe war alt. Ich habe sie nicht getestet, ehe ich aus dem Haus gegangen bin. Ein Versäumnis. Und ich habe ganz bestimmt nicht die Birne im Bewegungsmelder losgeschraubt. « Ich kann meinen Zorn kaum noch zügeln.
»Du hast ihr aufgelauert, als sie kam, um Sock abzuholen.« Jaime macht es sich auf dem Sofa bequem, legt sich ein Kissen auf den Schoß und stützt die Arme darauf.
»Und es klingt plausibel, dass sie mich angerufen und gefragt hat, ob sie ihren Hund abholen kann, während die Polizei und das FBI nach ihr fahnden?«, wende ich ein. »Wer würde denn eine so unlogische Geschichte glauben?«
»Sie wird einfach sagen, sie habe nicht gewusst, dass die Polizei sie sucht. Warum denn auch? Schließlich habe sie nichts verbrochen.«
Jaime greift nach ihrem Drink. Der teure Scotch schimmert bernsteinfarben in dem billigen Glas, und allmählich hört sie sich ein wenig betrunken an.
»Sie wird sagen, ihr geliebter Windhund, ausgebildet von ihrer Mutter und ihrer Obhut übergeben, sei im Haus ihres Vaters in Salem gewesen«, spricht Jaime weiter. »Dawn wird behaupten, du hättest den Hund mitgenommen, ihn gestohlen, und
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