Blut für Blut: Thriller (German Edition)
Aussehen nach zu schließen war es ein Haus in Schweden oder Norwegen. Das mussten sie überprüfen. Das größte Foto war eine vergrößerte Aufnahme von einem Hund mit einem goldbraunen, zerzausten Fell, abstehenden Ohren und schief gelegtem Kopf. Rebekka musste lächeln, sie mochte Hunde, erwog sogar bisweilen, sich einen anzuschaffen, sah aber immer wieder ein, dass es ein Kamikazeprojekt von immensem Ausmaß wäre, würde sie ihren Traum realisieren. Doch hin und wieder erwärmte sie sich gern an dem Gedanken an einen lieben Hund, der an einen Teddy erinnerte. Sie ging weiter das Arbeitszimmer durch, und einige Minuten später tauchte Reza in der Tür auf. Er lächelte schief, als er den Stapel mit eingesammeltem Material sah, den Rebekka mit ins Präsidium nehmen wollte.
»Hast du was Interessantes gefunden?«, fragte sie, und er schüttelte bedauernd den Kopf.
»Leider nicht, ich habe sämtliche Schubladen und Schränke durchgesehen. Massenweise schicke Kleidung, kann ich dir sagen. Ich hätte nicht gedacht, dass Sozialarbeiter so viel verdienen. Ich meine, sie wohnt schließlich auch nicht billig, das Kartoffelrækkerne-Viertel ist doch eine beliebte Wohngegend. Die Häuser sind viele Millionen Kronen wert.«
Rebekka nickte. Der gleiche Gedanke war ihr auch gekommen.
»Wir müssen uns ihre finanzielle Situation ansehen. Wir müssen ihre IP-Adresse ausmachen und sehen, ob die uns weiterhilft. Und wir brauchen eine Liste über die in den letzten Wochen über Festnetz und Handy geführten Gespräche. Apropos Handy, du hast es nicht zufällig gefunden?«
Reza schüttelte erneut den Kopf.
»Ich habe es nicht gesehen. Sie muss es bei dem Spaziergang auf dem Kastell bei sich gehabt haben. Es geht doch fast niemand mehr ohne Handy aus dem Haus. Ich war auch unten im Keller. Er ist ausgebaut, hell und einladend mit weißen Marmorfliesen, aber sie hat ihn wohl vor allem zur Lagerung von Umzugskartons und für Waschmaschine, Trockner und Wäschekorb genutzt. Ich habe übrigens in einem Schrank ein paar gespülte Fressnäpfe gefunden. Es scheint, als hätte sie einen Hund oder eine Katze gehabt.«
Rebekka zeigte auf die Pinnwand.
»Ich wette, einen Hund. Gut, sollen wir ins Präsidium fahren und sehen, dass wir weiterkommen?«
Als sie die Haustür hinter sich abschlossen, hatte Rebekka das Gefühl, beobachtet zu werden. Sie warf einen schnellen Blick auf die umliegenden Häuser, doch die Fenster wirkten dunkel und verlassen in der Sommersonne.
____
Sie hielten ein kurzes Briefing ab. Brodersen ließ den Blick über die Gruppe eifriger Ermittler schweifen; wie immer, wenn es um Mord ging, war Verstärkung angefordert worden. Das Zimmer summte vor Anspannung, und die Stimmung ließ Rebekka an Schlittenhunde und ihr erwartungsvolles Gebell und die Unruhe des Rudels vor dem Start denken.
»Fassen wir zusammen, was wir zum gegenwärtigen Zeitpunkt haben. Heute um 10 Uhr 53 wurde die Leiche der 59-jährigen Sozialarbeiterin Kirsten Schack, genannt Kissi, bei dem Wallgraben des Kastells von einem der Dienstleistungsmitarbeiter gefunden. Die vorläufige Leichenschau hat ergeben, dass der Tod heute Morgen irgendwann zwischen halb vier und halb acht eingetreten ist, die Verletzungen dem Opfer jedoch vermutlich gestern Abend in der Zeit zwischen 18 und 22 Uhr zugefügt wurden. Die Leiche weist zahlreiche Verletzungen und Brüche im Gesicht und am Schädel aufgrund stumpfer Gewalteinwirkung auf. Bei der Tatwaffe handelt es sich aller Wahrscheinlichkeit nach um einen Stein mit scharfen Kanten, möglicherweise um den beschädigten Pflasterstein, der am Tatort fehlt. Die engsten Angehörigen sind unterrichtet, zu ihnen gehören zwei erwachsene Kinder, eine Schwester und Kissi Schacks Exmann, Jerome Lefevre, der im Übrigen nur einen Steinwurf vom Tatort entfernt wohnt, was wortwörtlich zu verstehen ist. Der Exmann hat sie identifiziert, das Gesicht ist stark in Mitleidenschaft gezogen, doch es gab eine Reihe anderer physischer Merkmale, sodass eine hundertprozentige Identifikation möglich war. Jerome Lefevre war von dem Mord natürlich sehr betroffen und konnte nicht direkt verhört werden, doch das holen wir heute später nach.«
Brodersen trank einen Schluck aus einer Flasche mit Mineralwasser, räusperte sich und fuhr fort: »Kissi Schack, der Name lässt es wahrscheinlich bei den meisten von euch klingeln. Sie war eine bekannte Sozialarbeiterin, die sich regelmäßig in der Debatte um die Einwandererproblematik
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