Blut für Blut: Thriller (German Edition)
sie mit ihnen machen können, was sie wollen, ohne dafür bestraft zu werden. Ich bin mir sicher, dass Sie viele geeignete Kandidaten finden, die Kissi gerne dort gesehen hätten, wo der Pfeffer wächst.«
»Fällt Ihnen jemand ein, der Kissi bedroht hat? Wir hätten gern etwas Konkretes, ein paar Namen.«
Boel Kristensen hörte auf, mit dem Fuß zu scharren, und schaute sie aufmerksam an.
»Wenn ich etwas Konkretes wüsste, hätte ich Ihnen das gesagt. Aber da Kissi nun einmal in der Öffentlichkeit stand, hat sie hin und wieder auch Drohungen von diversen Ehemännern bekommen. Wir haben regelmäßig einen wütenden Ehemann, Vater oder Bruder da draußen stehen, der herumschreit und Theater macht und uns mit allem Möglichen droht. Das wissen alle, die hier arbeiten.«
»Woher wissen die Männer, dass ihre Familienmitglieder hier sind?«
Boel Kristensen zuckte mit den Schultern. »Das ist eine gute Frage. Wir wissen es nicht, aber sie haben so ihre Netzwerke.«
»Sagt Ihnen der Name Haleema etwas?«, fragte Rebekka, doch Boel Kristensen schüttelte nur den Kopf. »Hier haben schon so viele Frauen gewohnt, man erinnert sich nicht an alle.«
»Haben Sie selbst konkrete Drohungen von wütenden Ehemännern bekommen, Anrufe, SMS, E-Mails oder Briefe?«
Boel Kristensen schüttelte erneut den Kopf. »Persönlich ist mir das nicht passiert, glücklicherweise. Kissi wurde, wie gesagt, mehrmals bedroht, aber das ist ein Berufsrisiko, das sich beträchtlich erhöht, wenn man in der Öffentlichkeit steht. Das habe ich ihr auch mehrmals gesagt. Doch die Drohungen schienen sie nicht zu ängstigen, ganz und gar nicht. Obwohl sie das wohl hätten tun sollen.«
Boel Kristensen begegnete Rebekkas Blick und fügte hinzu: »Ich meine, Kissi war schließlich eine kleine, schmächtige Frau. Rein physisch war sie ein leichtes Opfer. Nicht wie ich, ich bin schließlich sehr viel größer und wiege vermutlich doppelt so viel wie sie.« Boel Kristensen lachte plötzlich laut und hohl, ein unheimliches Lachen, das noch lange, nachdem sie Lundely verlassen hatten, in Rebekkas Ohren nachhallte.
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Das Telefon klingelte unaufhörlich. Tibor Budzik überlegte aufzustehen und dranzugehen. Er hatte ganz still im Bett gelegen, nachdem er die Nachrichten gesehen hatte, in denen von dem Mord an Kissi berichtet worden war. Sein ganzer Körper stand unter Schock. Das Telefon klingelte noch immer. Wer das wohl sein mochte? Es kam nur selten vor, dass jemand bei ihm anrief, im Cairnklub schickten sie sich hauptsächlich SMS, hin und wieder rief ein Kollege aus der Druckerei an, wenn jemand krank war und er an einem freien Tag arbeiten sollte, und ganz selten, ein-oder zweimal im Jahr, rief seine Exfrau an, um ihm auf den Zahn zu fühlen . Es ging ihm gut, versicherte er ihr jedes Mal, sehr gut. Er erzählte ihr nie von den nächtlichen Albträumen, von den Erinnerungen aus der Heimat, die sich ihm aufdrängten, wenn er alleine in der Wohnung in der Herluf Trolles Gade saß, mit dem Fernseher als einziger Gesellschaft. Und der Freude seines Lebens natürlich – Molly und Milica. Die Hunde waren sein Ein und Alles, und wenn er sie nicht gehabt hätte, wäre er wahnsinnig geworden, wahnsinnig von den Erinnerungen aus dem Bürgerkrieg, wahnsinnig von der Einsamkeit in diesem nördlichen Land, in dem er sich nie richtig willkommen gefühlt hatte. Molly öffnete ein Auge und sah ihn an, und er streichelte ihr struppiges Fell. Er hatte nie jemandem von seiner schrecklichen Vergangenheit erzählt. Einmal hätte er es beinahe getan, als Kissi ihn nach seinem Hintergrund gefragt hatte, hatte sich dann aber doch entschieden, irgendetwas Undeutliches zu murmeln und schnell das Thema zu wechseln. Und sie hatte ihm beruhigend die Hand auf den Arm gelegt und ihn verständnisvoll angelächelt. Oh, wie er sie bereits jetzt vermisste. Sie hatte ihn regelmäßig zum Tee in ihr Haus eingeladen. Wir können im Garten sitzen, hatte sie gesagt, und er hätte sich totlachen können, als er das erste Mal den Garten gesehen hatte. Der Garten war ein klitzekleiner Hinterhof mit Steinplatten, einer gewaltigen Glyzinie und ein paar grünen Tupfern hier und da, einer Hortensie in einem Topf, einem elenden Rosenbusch voller Blattläuse und einem Rhododendron in einem Krug. Sie waren verrückt, die Dänen. Aber schön war es gewesen, Kissi ganz für sich zu haben, ihre ungeteilte Aufmerksamkeit zu genießen. Er hatte an dem Tee genippt, der stark nach Minze geschmeckt
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