Blut im Schnee
Zeitungsbotin stieß. Sie rief den Notruf und blieb anschließend bei dem schockierten Mann, bis der Streifenwagen eintraf.
Als Joachim Gruber am Ort des Verbrechens ankam, saß der bärtige Alte in einem Krankenwagen, eingewickelt in eine Decke. Die Kollegen hatten bereits mit ihm gesprochen, weshalb man dem Leiter der SoKo die Details schon am Telefon erläutern konnte.
Das neue Opfer schien etwas jünger als die vorhergehenden zu sein. Jedoch verriet sein Äußeres bei genauerer Betrachtung seine sexuelle Orientierung. Welcher Mann würde sonst solch auffälligen Schmuck tragen oder sich die Augen lila schminken? Selbst wenn die Farbe nur dezent aufgetragen war, im Schein der Taschenlampe konnte Joachim sie gut erkennen.
Langsam wurde es Zeit, dass sie etwas Konkretes fanden, denn die Abstände zwischen den Morden verkürzten sich zusehends. Wenn sie dem Täter nicht bald auf die Schliche kämen, würde Trier in Kürze Nacht für Nacht einen weiteren Toten bekommen, der auf diese scheußliche Art umgebracht worden war. Mit einem leichten Anflug von Ironie dachte Joachim, dass der Pathologe am Besten gleich ein Feldbett im Brüderkrankenhaus aufschlagen sollte.
Er vergewisserte sich, dass alle Kollegen penibel ihren Dienst taten, als ein Beamter von der Spurensicherung auf ihn zu trat.
„Ich hab da was, das dürfte dich interessieren“, sagte er und hielt einen Klarsichtbeutel hoch. Darin befand sich ein Blatt Papier mit aufgeklebten Zeitungsbuchstaben. Joachim glaubte kaum, was er da las: Bevor ihr mich erwischt, schnappe ich mir jede verdammte Schwuchtel!
„Na damit ist es jetzt amtlich. Hier geht ein Schwulenhasser umher und macht aus Männern Mädchen“, brummte er.
Hoffentlich bekam die Presse keinen Wind von dem Täterbrief. Nicht auszudenken, wie die Bevölkerung darauf reagieren würde.
„Ich mache die üblichen Untersuchungen, dann lege ich dir die Ergebnisse auf den Tisch.“
„Danke. Schnell, wenn’s geht.“
Der Beamte schnaubte belustigt. „Ich weiß, am liebsten vorgestern.“
***
Thorsten stand an diesem Mittwochmorgen zuversichtlich auf. Er hatte das Gefühl, einen Schritt in die richtige Richtung gemacht zu haben. Es war ein Wagnis, den privaten Ermittler einzuschalten, doch sein Ziel, den Mörder hinter Gittern zu sehen, wollte er mit allen Mitteln erreichen. So viel war er Martin schuldig. Er vertraute darauf, dass Enrique Wort hielt und seine Kontakte dazu nutzte, die bisherigen Erkenntnisse der Polizei herauszufinden und sich anschließend selbst auf Spurensuche begab. Sie hatten ihre Visitenkarten ausgetauscht, zudem hatte Thorsten seine Adresse auf der Karte vermerkt. Er wusste, Enrique war in ein Hotel nahe der Innenstadt gezogen. Erreichbar wäre der ständig auf dem Mobiltelefon, wie er extra betont hatte. Thorsten fragte sich allerdings, was für einen Grund er haben sollte, den Mann mitten in der Nacht anzurufen. Sicher, ihm war aufgefallen, dass da eine unterschwellige Spannung zwischen ihnen herrschte, doch darauf wollte und konnte Thorsten sich nicht einlassen. Im Moment befand er sich in der Warteschleife, weil Enrique sich sofort melden wollte, sobald er etwas Neues wüsste.
Im Nachhinein war ihm aufgefallen, dass Enrique ihn während des Gesprächs eine Spur zu deutlich gemustert hatte. Wenn er sich an seiner sexuellen Orientierung stören würde, hätte Enrique den Auftrag vermutlich nicht angenommen. Folglich blieb nur eine andere Erklärung. Eine, die Thorsten nicht genauer beleuchten wollte. Nicht, bevor er es musste.
Er setzte sich Teewasser auf, sah in den Kühlschrank und notierte im Geist die Dinge, die er besorgen musste. Was neben den aufgebrauchten Haushaltsutensilien eine nette Liste ergab, wollte er nicht die kommenden Tage von Müsli und Tiefkühlkost leben. Während der Tee zog, rief er bei Kim an. Doch die nahm zu Hause nicht ab. Also versuchte er es auf dem Handy, aber auch damit hatte er keinen Erfolg. Thorsten verschob das Gespräch wohl oder übel auf später und schaltete das Radio ein. Ein bekannter Ton verkündete den Beginn der Regionalnachrichten, die gleich mit der Top-Schlagzeile begannen: Trier – Mordserie reißt nicht ab. Einem Polizeisprecher zufolge wurde in den frühen Morgenstunden eine weitere getötete Person in der Nähe des Viehmarktes aufgefunden. Erste Untersuchungen haben ergeben, dass der Mann dem gleichen Täter zum Opfer fiel. Damit ist er das vierte Mordopfer dieser Serie. Einzelheiten wurden nicht bekannt
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