Blut im Schnee
das Lokal betrat. Er bestellte sich einen Kaffee, denn erstens wollte er sich etwas wärmen und zweitens befand er, für das anstehende Gespräch wäre Alkoholisches keine gute Wahl.
Während er dort saß und wartete, überkam ihn der Wunsch nach einer Zigarette. Statt dem nachzugeben, drehte er seine Tasse auf dem Unterteller. Eine innere Unruhe hatte ihn befallen und er konnte sich nicht erklären, woher diese kam. War er nervös, weil der Ermittler ihn abweisen könnte? Er wusste es nicht. Zudem hatte er das Gefühl, dass er beobachtet wurde. Doch er kannte keinen der anderen Gäste. Thorsten verhielt sich völlig normal, er sah keinen Grund, weshalb ihn jemand so genau unter die Lupe nehmen sollte. Dennoch prickelte ihm der Nacken, als würde er Blicke auf sich spüren. Er sah sich dezent um, aber nichts wies darauf hin, dass er tatsächlich die Aufmerksamkeit von jemandem geweckt hätte. So ordnete er es der Nervosität zu, die ihn befallen hatte. Der Zeiger auf der Uhr rückte der sieben näher und damit auch der Moment, in dem Fernandez eintreffen würde.
***
Im Büro saß Joachim Gruber an seinem Tisch und blätterte durch die Papiere, die dort lagen. Soweit er wusste, durchforstete Henrik noch immer diese Internetseite. Ein anderer Gedankengang hatte Joachim dazu gebracht, nochmals die Untersuchungsberichte des Gerichtsmediziners rauszusuchen. Was ihm nicht aus dem Kopf ging, war die Schnittführung. Auch wenn sie beim dritten Opfer etwas abweichend war, kamen ihm die Worte seines Schwagers in den Sinn. Beim Schlachten von männlichem Großvieh, wie einem Bullen, wäre ein geübter Metzger oder Akkordschlachter durchaus in der Lage, sämtliche Genitalien in einem Schnitt abzutrennen. Somit käme als Täter auch ein Ausbeiner, Metzger oder Jäger infrage, was ihn dazu brachte, die Ermittlungen dahin gehend auszuweiten. Die Anzeigen der letzten Monate müssten überprüft werden. Vielleicht hatte es einen Vorfall gegeben, bei dem ein Mann dieser Berufssparten mit einem Schwulen aneinandergeraten war. Jede noch so kleine Möglichkeit musste in Betracht gezogen werden, und wenn der Grund einer Auseinandersetzung die sexuelle Orientierung der Personen gewesen war, müsste das schließlich im Protokoll erwähnt sein. Joachim ahnte bereits, dass die Nacht für das Team kurz werden würde. Wenn man die Nadel im Heuhaufen suchte, ging Zeit verloren. Zeit, die sie wahrscheinlich nicht hatten. Wer wusste schon, was im Kopf des Täters vorging.
Wie auf Kommando klingelte sein Telefon. Er wusste schon, wer dran war. Sybille Wigand, eine Psychologin, die sich auf die Behandlung und die Analyse von geistig kranken Straftätern spezialisiert hatte.
Er hob ab und schilderte ihr nach einer kurzen Begrüßung, was er hatte. Ein Profil zu erstellen war mit dem Bisschen nicht leicht.
Als er auflegte, entließ er schnaufend die Luft aus seinen Lungen. Joachim hatte nun die Suche nach einem Mann vor sich, der vermutlich Grundkenntnisse im Zerlegen von Tieren besaß oder dieses praktizierte. Obendrein war es möglich, dass er einen schwierigen familiären Hintergrund hatte. Möglicherweise auch Kontakt oder Schwierigkeiten mit homosexuellen Männern. Einfach würde das nicht.
***
Die Tür öffnete sich und ein Mann in einem schwarzen Wollmantel trat ein. Thorsten erkannte ihn sofort. Das war Fernandez. Das schwarze Haar reichte ihm fast bis zum Kinn, war lässig hinter die Ohren gestrichen und leicht gelockt. Der Teint verriet unverkennbar die südländische Herkunft, ebenso wie die dunklen Augen, die den Raum absuchten und dabei fast schwarz wirkten. Thorsten war beeindruckt, was nicht nur am guten Aussehen des Kerls lag. Er strahlte eine Selbstsicherheit aus, die das Auftreten von so manchem Security-Mitarbeiter in den Schatten stellen würde. Dabei wirkte er trotz seiner Größe und den unverkennbar breiten Schultern seriös.
Thorsten stand auf und trat auf ihn zu. „Enrique Fernandez?“
„Richtig.“
Dieses eine Wort ließ Thorsten einen Schauer über den Rücken laufen. Der Mann klang in natura völlig anders, als am Telefon.
Thorsten nickte und bot dem Mann die Hand, der beherzt zugriff. „Danke, dass Sie so schnell kommen konnten. Würde es Ihnen etwas ausmachen, wenn wir hinten durchgehen? Was ich mit Ihnen besprechen möchte, ist nicht für die Ohren der Allgemeinheit bestimmt.“
„Natürlich. Allerdings wundere ich mich, dass Sie ausgerechnet ein Lokal als Treffpunkt mit mir ausgemacht
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