Blut im Schnee
Bus!“
„Hallo. Ich habe mir schon gedacht, dass du nicht mit Absicht zu spät kommst.“ Enrique deutete auf den Hocker neben sich, doch Thorsten bevorzugte den gegenüber.
„Hast du Neuigkeiten?“, erkundigte er sich, kaum dass er saß.
„Ein paar, sofern sie für dich neu sind.“
Thorsten schälte sich aus seiner Jacke und bestellte sich bei der Kellnerin, die im gleichen Moment an den Tisch trat, einen Kaffee. Enrique orderte für sich eine Cola.
„Leg los“, bat er Enrique, sobald die junge Frau außer Hörweite war.
„Was ich inzwischen weiß, ist, dass alle drei mit sogenannten K.o.-Tropfen betäubt wurden. Alle wurden dort ermordet, wo man sie fand. Todesursache jeweils der massive Blutverlust durch das Abschneiden der Genitalien. Was er damit anstellt, weißt du ja schon.“ Enrique schauderte sichtlich, was Thorsten ihm nicht verübeln konnte.
„Also sind alle drei verblutet und keiner kann sagen, wie viel Martin oder die anderen noch mitbekommen haben.“
„Ich persönlich glaube nicht, dass sie viel gemerkt haben. Die Betäubung muss jeden von ihnen ziemlich außer Gefecht gesetzt haben.“
Auf die Möglichkeit hin, dass Martin die Attacke mit dem Messer vielleicht noch hatte spüren können, schoss Thorsten die Magensäure hoch. An Mittagessen brauchte er nun nicht mehr zu denken. Der bestellte Kaffee würde schon eine Herausforderung werden, wenn er daran dachte, was Martin angetan worden war. Und er hoffte wirklich, dass der das nicht bewusst miterlebt hatte!
„Sie ermitteln, soweit ich das erkennen konnte, in verschiedene Richtungen. Ich habe vor, mir zuerst das persönliche Umfeld vorzunehmen. Es muss etwas geben, was die Kripo übersehen hat“, gab Enrique bekannt.
„Nur was?“, murmelte Thorsten.
Enrique erwiderte nichts, denn die junge Frau kam mit dem Tablett und servierte ihre Bestellung. Kaum war sie weg, beugte sich der Ermittler vor.
„Was ist, wenn der Täter aus den eigenen Reihen kommt? Ein ehemaliger Geliebter, der wegen irgendetwas ausgeflippt ist und sich jetzt an allen Verflossenen rächt?“
„Hm, auch wenn es abwegig klingt – möglich ist das bestimmt.“
„Ich bin mir sicher, es gibt einen Punkt, der alle verbindet. Ist dir aufgefallen, dass sie das letzte Opfer nicht weit von dem Lokal entfernt gefunden haben, in dem wir uns getroffen haben?“
„Ist mir aufgefallen, ja. Fühlt sich nicht gut an.“
„Kanntest du jemanden dort? Oder ist dir jemand begegnet, den du auch nur vom Sehen her kennst?“
Thorsten musste nicht lange überlegen. Die Antwort lautete: Nein. Daher schüttelte er den Kopf. Sollte er erwähnen, dass er sich beobachtet gefühlt hatte? Wahrscheinlich.
„Bevor du kamst, dachte ich, da wäre jemand, der mich beobachtet. Es kann aber genauso gut ein Hirngespenst gewesen sein.“
„Als Einbildung würde ich das nicht vorschnell abtun. Wie hast du es bemerkt?“, fragte Enrique und stützte sich mit den Unterarmen auf dem Tisch auf.
Thorsten versuchte, den angemessenen Abstand zu wahren. „Ich habe es nur gespürt.“
Außer einem angedeuteten Nicken erhielt er keine Erwiderung. Sein Gegenüber saß einfach nur da und musterte ihn. Thorsten fühlte sich unter dem forschenden Blick unbehaglich. Obwohl sie sich nicht berührten, kam es ihm vor, als seien sie sich viel zu nah. Sein Kopf war voll mit Dingen, die ihn beschäftigten, und doch war er nicht in der Lage, auch nur einen brauchbaren Gedanken in diesem Moment zu fassen. Lag es daran, dass der Mann ihm gegenüber ihn schweigend musterte – mit diesen Augen, in denen zu erkennen war, welche Glut sich darin verbarg?
„Ehrlichkeit ist die Grundlage, auf die wir bauen müssen. Wenn es etwas gibt, das ich wissen sollte, dann sag es. Umgekehrt gilt das Gleiche“, unterbrach Enrique das Schweigen.
„Natürlich“, stimmte Thorsten zu und besann sich auf das vorige Gespräch, „ich kann aber wirklich nicht mit Sicherheit sagen, dass dort jemand war.“
„Was ist eigentlich mit dir? Bevor ich mühsam alles recherchieren muss … wo kommst du her, hast du Feinde?“
Thorsten schluckte. Feinde? Nein, nicht wirklich. Nicht jeder in seinem Umfeld war glücklich gewesen, als er sich geoutet hatte – aber als Feind würde er niemanden bezeichnen.
„Ich bin nicht von hier, sondern aus Köln hergezogen. Und Feinde hab ich nicht. Zumindest nicht, soweit ich wüsste“, erklärte er.
„Okay. Was ist mit den Klassenkameraden von Martin? Glaubst du, einer von denen käme
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