Blut klebt am Karlspreis
„Wir nehmen den Brief mit und lassen ihn heute noch analysieren. Böhnke sagt Ihnen Bescheid.“
Der Beamte ließ sich von mir noch einmal den Fund schildern, machte sich einige Notizen und schüttelte ungläubig den Kopf, als er sich verabschiedete.
„Du glaubst wirklich, dass das eine Briefbombe war?“, fragte mich Sabine zweifelnd.
„Ja“, antwortete ich. „Ich kann dir nicht erklären, warum ich das glaube, aber es ist so.“
Ich suchte das Telefonbuch in meiner alphabetisch geordneten Büchersammlung. Es gab tatsächlich einen Werner Scholz mit der angegebenen Adresse in Aachen. „Du kannst ihn ja anrufen“, schlug ich Sabine vor, „und ihn nach meinem Namen fragen. Er wird ihn garantiert nicht kennen.“
Sabine fackelte nicht lange und wählte die Rufnummer. Ich beobachtete sie während des Telefonats, bei dem ihre hübsche Stirn immer krauser wurde und das sie mit einem „Tut mir aufrichtig Leid“ beendete.
„Werner Scholz ist seit über einem Jahr tot. Seine Witwe hat die Eintragung im Telefonbuch nicht ändern wollen“, berichtete sie mir unruhig. „Deinen Namen kennt die Frau natürlich nicht.“ Sabine nahm mich in die Arme. „Wollen die dir etwa ans Leder?“, fragte sie besorgt. „Du hast doch überhaupt nichts getan.“ Sie gab sich Mühe, ihre Tränen zu unterdrücken. „Lass’ uns für eine Weile verschwinden, Tobias!“, schlug sie vor. Aber ich widersprach. „Hier ist etwas Ungeheuerliches im Gange, das wir aufklären müssen.“ Ich glaube nicht, so behauptete ich mit Unbehagen, dass man einen zweiten Versuch unternehmen würde, mich auszuschalten.
„Warum haben die das gemacht?“ Sabine sah mich mit ängstlichen Augen an. „Was weißt du, Tobias?“
„Nichts“, musste ich zugeben. Ich setzte mich an meinen Arbeitsplatz und griff zu den Notizblättern. Noch einmal rekapitulierte ich mit ihrer Hilfe die Geschehnisse des Tages. Aber der Inhalt der Zettel war mehr eine Aufzeichnung für ein Tagebuch, als eine Sammlung von Fakten, die auf ein Verbrechen hinwiesen, so musste ich mir eingestehen. Wahrscheinlich war es noch zu früh, um aus den verschiedenen und so unterschiedlichen Komponenten ein stabiles Gebilde zu bauen. Vielleicht bewertete ich diverse Dinge falsch, waren die vermeintlich unwichtigen Hinweise eventuell sogar entscheidend und die angeblich wichtigen nur belanglose Randaspekte.
Sabine wurde jedenfalls aus meiner Zettelsammlung, die inzwischen meinem Lieblingsschriftsteller Arno Schmidt zur Ehre gereicht hätte, nicht schlau. Aber damit war sie auch nicht dümmer als ich.
Das lärmende Telefon beendete unsere unergiebige Diskussion. Böhnke gratulierte mir zu meinem heutigen Geburtstag und meinem Instinkt. „Da haben Sie verdammt viel Schwein gehabt“, sagte er, „der Brief war in der Tat hochexplosiv. Wenn Sie den geöffnet hätten…“
„Wie bei Loogen?“ Ich gab mich kühl und souverän, obwohl mein Herz bis in den Hals pochte.
„Wahrscheinlich. Unsere Fachleute werden das Zeug noch genauer unter die Lupe nehmen. Werner Scholz ist übrigens nicht der Absender.“
„Ich weiß“, entgegnete ich, „wer denn sonst?“
Doch auf diese Frage musste mir der Kommissar die Antwort schuldig bleiben. „Morgen Mittag weiß ich mehr“, tröstete er sich und mich.
Dann könnte ich ihm auch meine Bewertung des Videofilms geben, schlug ich vor. Ich stutzte. „Wieso morgen, wieso am Sonntag? Fahren Sie etwa Nachtschicht?“
Böhnke lachte bitter auf. „Ich habe keine Zeit zu verlieren. Ich will die Sache so schnell wie möglich aufklären. Christi Himmelfahrt ist bald.“
„Also doch Befürchtungen wegen des Karlspreises?“
„Ich schließe Ärger jedenfalls nicht mehr aus“, blieb der Kommissar vage. Er habe vielmehr ein anderes Problem. „Wer will Ihnen weswegen an den Kragen, Herr Grundler?“
„Jemand, dem ich offenbar im Wege bin“, antwortete ich. „Ich weiß nur nicht, wer und warum.“ Aber auch dieses Problem würde ich lösen, das lag schon in meinem eigenen Interesse.
Die Freude über unser Erscheinen war nicht ungeteilt im Hause Schulz. Do war froh, mich unversehrt und nach langer Zeit endlich wieder einmal zu sehen und Tobias junior fand es toll, mit den Krücken seines Patenonkels herumlaufen zu können. Dieter dagegen schmollte unübersehbar, weil wir ausgerechnet in dem Moment mit großem Getöse ins Wohnzimmer einfielen, als im Fernseher ein Bericht über ein Fußballspiel der Alemannia gezeigt
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