Blut klebt am Karlspreis
„Üblicherweise reagieren wir auf anonyme Anrufer nicht. Aber in Anbetracht der heiklen Situation und wenige Tage vor der Karlspreisverleihung haben wir eine Ausnahme gemacht.“
„Vielleicht haben Sie durch Ihren Artikel Trittbrettfahrer motiviert, die die von Ihnen geschürte Furcht ausnutzen“, gab ich zu bedenken.
Aber der Schreiberling hörte über den Vorwurf hinweg. „Wir haben die Polizei alarmiert und damit unsere Pflicht erfüllt.“
Ständig in den Kampf mit den Krücken verwickelt, dauerte es etwas länger als gewöhnlich, ehe ich von der Theaterstraße zur Elisen-Galerie gelangt war. Ich geriet gehörig ins Schwitzen, zumal die Maisonne fast schon sommerlich warm schien.
Polizisten versperrten am Friedrich-Wilhelm-Platz den Zugang zur neuen, attraktiven Einkaufspassage. Die Passanten nahmen die Absperrung mit Gleichmut hin und liefen einen anderen Weg.
Der gewaltige Knall ließ nicht nur mich zusammenzucken. Einige Frauen kreischten, Kinder hielten sich erschrocken die Ohren zu. Exakt zum Glockenschlag der Kirchturmuhr hatte es in der Galerie eine Explosion gegeben.
Sofort stürzten etliche Polizisten in das Gebäude, hinter denen sich die gläsernen Flügeltüren wieder schlossen.
Ich konnte nichts erkennen und ärgerte mich über den Nachhall, der immer noch in meinen Gehörgängen umherkreiste. Geduldig wartete ich ab, es konnte nicht viel passiert sein, dachte ich mir. Weder Feuerwehr noch Sanitäter waren erschienen, auch legten die Polizisten keine übertriebene Eile an den Tag.
Nach einer Viertelstunde erblickte ich den AZ-Reporter, der mit einem Fotografen im Schlepptau heranstürmte. „Was ist passiert?“, fragte er keuchend. „Wir haben hier draußen nur einen fürchterlichen Knall gehört, sonst nichts“, antwortete ich bereitwillig. „Die Presse erfährt garantiert mehr. Darf ich mitkommen?“
Der Schreiberling akzeptierte. Gemeinsam näherten wir uns einem Polizisten, der uns in die Passage eintreten ließ, nachdem ihm der Journalist einen Presseausweis unter die Nase gehalten hatte.
In dem modernen Gebäude war es befremdend leer. Die Geschäfte hatten geschlossen, hinter einigen gläsernen Türen lugten Verkäuferinnen neugierig auf uns. Lediglich in einer Ecke unter der mächtigen Kuppel gegenüber dem Louisiana am Zugang zum Grenzlandtheater standen einige Männer, die der Journalist freundlich grüßte.
„Das ist der Tatort“, sagte einer von ihnen und zeigte auf einen stabilen Papierkorb aus Metall mit Aschenbecher und einem Bügel, der die Aufschrift „Elisen-Galerie“ trug. „Darin hat ein etwas größerer Knallkörper gelegen, der sich um zwölf Uhr entzündet hat. Laut, aber ansonsten harmlos.“
„Genau wie im Bahnhof“, kommentierte der Fotograf, der zur Kamera gegriffen hatte, „da war es genauso. Da ist auf einem Bahnsteig in einem Abfalleimer der Böller losgegangen.“ Schaden hätte es quasi keinen gegeben. „Nur Verspätungen bei der Bundesbahn, weil die sofort den Bahnhof für alle Züge gesperrt haben.“
Erleichtert über den doch glimpflichen Ausgang der angekündigten Anschläge wollte ich zurück zur Kanzlei humpeln. Der Schreiberling bot sich an, mich in seinem Wagen mitzunehmen. „Sie kennen wohl auch keine Fünf-Tage-Woche“, meinte er während der Fahrt.
Woher sollte ich sie kennen, gab ich zurück, ich sei arbeitsunfähig und hätte zwangsläufig nie Zeit „Sie etwa?“, fragte ich, „Sie turnen ja auch an Ihrem freien Samstag durch die Gegend.“ Das sei wohl das Los der Junggesellen, antwortete der Reporter. „Ich wüsste, was ich lieber täte.“
Aber ich glaubte ihm das halbherzige Wehklagen nicht, er war viel zu sehr Journalist, um Dienst nach Zeitplan zu schieben.
Meine Einladung, in der Kanzlei eine Tasse Kaffee zu trinken, lehnte er ab. So kletterte ich allein ins Büro und stellte erfreut fest, dass ich mich nicht getäuscht hatte. Es gab tatsächlich einen Menschen, der heute noch zur Förderung des Reichtums von Schulz arbeitete.
Mein Nachfolger als Bürovorsteher blätterte intensiv in Papieren. „Ich muss noch einiges erledigen vor meinem Urlaub“, erklärte Jerusalem mir. „Sie wissen doch, dass ich jetzt für zwei Wochen wegfahre?“
Ich wusste es nicht, aber das lag bestimmt daran, dass ich mich um die Urlaubsplanung und einige wenige andere organisatorische Dinge nicht mehr kümmerte.
„Es ist übrigens von der Polizei ein Paket für Sie abgegeben worden, Herr
Weitere Kostenlose Bücher