Blut klebt am Karlspreis
war er!“ Ich hatte nicht erkannt, was oder wen sie meinte.
Dieter fuhr den Film einige Bilder zurück und blieb an einer Stelle stehen, an der das seitliche Profil eines Mannes zu erkennen war.
„Das ist er“, behauptete Sabine. Mir stockte der Atem und eine Gänsehaut jagte mir über den Rücken, nachdem ich das Bild erkannt hatte. Sabine hatte tatsächlich Recht.
Der Typ, der auf diesem einen Bild eingefangen war, war auch mir bekannt. Es war Müller, der Student, der vor der Hausräumung die Wohngemeinschaft verlassen hatte. Was machte er bloß bei dieser Keilerei?
„Es sieht so aus, als zeige er irgendwo hin“, behauptete Do. „Der kommt mir fast wie ein Regisseur vor.“
Gedanken schwirrten mir durch den Kopf. Warum trieb sich Müller bei einer solchen Prügelei herum? Das passte doch nicht zu ihm? Oder handelte es sich vielleicht nur um eine Verwechslung? Diese Möglichkeit hielt ich für wahrscheinlich. Ich behielt meine Vermutung aber für mich, um Sabine nicht den Triumph zu vermiesen.
Dennoch ließ mir die Filmszene keine Ruhe. Müller, Student im Examen, vor dem Sprung über den großen Teich, vor einer großen beruflichen Zukunft; Müller, der sich für seine Wohngemeinschaft eingesetzt hatte, der ruhig und besonnen nach Lösungen suchte, mit dem ich mich am Templergraben so nett unterhalten hatte; Müller, der jetzt bei einem Freund in Kornelimünster wohnte.
Ich musste mit Böhnke darüber reden, er konnte den Studenten bestimmt ausfindig machen; so groß war Kornelimünster nun auch nicht.
„Tobias!“ Sabine weckte mich aus meinen Gedanken. „Wo wollen wir schlafen, hier, bei dir oder bei mir?“
Abgetaucht
Selbstverständlich blieben wir bei Schulz an der Gulpener Straße. In meinen eigenen vier Wänden hätte ich mich nach dem Erlebnis am Nachmittag bei weitem nicht so wohl gefühlt und um mitten in der Nacht zum Adalbertsteinweg zu fahren und dort einen Parkplatz zu suchen, danach stand mir auch nicht der Sinn. So machten Sabine und ich es uns im Gästezimmer bequem, was allerdings mit der unvermeidlichen Konsequenz verbunden war, dass uns unser Patenkind Tobias junior schon am frühen Morgen aus den Federn riss.
„Ich wollte ohnehin in die Kanzlei“, tröstete mich Dieter beim Frühstück, „kommst du mit?“
Warum eigentlich nicht, sagte ich mir. Dort würde ich bestimmt die Ruhe finden, alle Fakten zusammenzuschnüren und mit Böhnke zu telefonieren.
„Wer spielt jetzt unseren Bürovorsteher?“, fragte ich meinen Freund während der Fahrt in die Stadt.
Er grinste mich kurz an. „Ich glaube, du bist mit Abstand die beste Urlaubsvertretung für deinen Nachfolger. Wenn ich mich richtig erinnere, war das so ausgemacht.“
An eine derartige Abmachung zu meinem Nachteil konnte ich mich zwar nicht erinnern, aber ich nahm das Schicksal hin. „Du bist ein komischer Chef“, maulte ich der Form halber, „du gibst meinem Nachfolger Urlaub und sagst seinem Vertreter vorab kein Wort.“
„Ging auch nicht“, konterte Schulz, „die Bitte um Urlaub kam ziemlich plötzlich am Samstag gegen Mittag. Da rief mich Jerusalem an und bat mich darum. Seine Mutter, die irgendwo im Sauerland wohnt, liegt im Sterben. Er ist der einzige Verwandte.“ Er blickte mich an. „Hättest du den Urlaubswunsch etwa abgelehnt?“
„Natürlich nicht“, antwortete ich.
Dieter wechselte das Thema. „Willst du mich eigentlich nicht einmal aufklären?“, fragte er mich. „Ich laufe ziemlich uninformiert durch die Weltgeschichte.“
Da gebe es von meiner Arbeit nicht viel zu berichten, antwortete ich. „Unser Mandant Brandmann ist zufrieden, unser Mandant Loogen tot, so sieht meine Erfolgsbilanz der letzten Zeit aus“, sagte ich zynisch, „und obendrein wollte mich jemand umbringen. Sonst noch was?“
Kopfschüttelnd lenkte Dieter den Daimler in die Tiefgarage. „Und alle diese Ereignisse stehen im Zusammenhang mit der Karlspreisverleihung?“
„Nicht, dass ich wüsste. Zumindest besteht mit Sicherheit kein unmittelbarer Zusammenhang.“ Ich wollte meine Überlegungen gleich zu Papier bringen, dann konnte mein Chef lesen, was ich meinte.
Im Aufzug sah er mich streng an. Der Blick erinnerte mich an den Moment vor etlichen Jahren, bevor er sein Plädoyer in meinem damaligen Prozess hielt und der mir deutlich machte, dass er unumstößlich an meiner Seite stand. Dieter legte mir die Hand auf die Schulter. „Pass’ bloß auf dich auf“, bat er
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