Blut Licht
scharlachroten, offiziellen Berufsbekleidung eines antiken Kardinals. Kurzes, hellbraunes Haar umrahmte ein markantes Gesicht und auf seinem Kopf thronte ein Birett mit Quaste. Die Miene des Mannes wirkte würdevoll und ruhig, während in seinen hellgrauen Augen irgendwie der Schalk zu tanzen schien. Da nahm er schwungvoll das Birett vom Kopf und verbeugte sich mit einer eleganten Geste. „Sie haben geläutet, Madame. Hier bin ich, Euer ergebener Diener. Was kann ich für Euch tun?“
Nun verlor ich gänzlich die Kontrolle über meine Gesichtsmuskulatur. „Wie bitte?“
„Hölle? Vorsehung? Teufel?“, meinte er tadelnd und setzte die Kopfbedeckung wieder auf. „Klingelt es jetzt vielleicht?“
Erneut entwich mir ein unverkennbarer Laut fragwürdiger Intelligenz: „Was?“
Er seufzte theatralisch. „Es ist doch regelmäßig das Gleiche mit euch kleinen Seelen. Erst wird gejammert, und wenn es endlich erhört wird, leidet ihr unter Amnesie.“
Das war doch wohl die Höhe! „Was zum Teufel „Genau“, unterbrach er mich enthusiastisch. „Genau das, meine Teuerste. Es geschehen noch Zeichen und Wunder. Wenn Ihr erlaubt?“ Ohne meine Erlaubnis erhalten zu haben, ergriff er meine Hand und hauchte einen Kuss darauf. „Gestatten: Luzifer, einstiger Strahlemann vom Allmächtigen, Lichtbringer der Welt und seit einigen Dekaden leider der unseligste Pechvogel der aus dem himmlischen Reich
Verbannten.“
„Luzifer“, echote ich und überließ ihm meine Hand. Dann aber bemerkte ich es, nahm sie fort und unterzog den Mann einer ironischen Betrachtung. „Luzifer!? Aber sicher. Und das hier, in der Basilika Sankt Peter. Natürlich.“
Geräuschvoll ließ er seinen Atem entweichen. „Warum passiert das stets nur mir?“ Daraufhin griff er nach meinem Arm und zog mich herum. „Schau dich um, Menschenkind. Meinst du denn, nur der schwertschwingende, flambierte Truthahn kriegt das hin?“
Erst jetzt fiel mir auf, was mir zuvor entgangen war. Es herrschte eine gespenstische Ruhe. Zudem wirkten sämtliche Anwesenden wie versteinert. Leblos, starr, in der Zeit eingefroren. Ähnlich wie zuvor bei Michael. Allein der Mann vor mir und ich schienen uns frei bewegen zu können. Doch wie war das möglich?
Voll Unglauben erfasste mein Blick ihn erneut. Abermals nahm ich sein komplettes Erscheinungsbild in Augenschein. Allein seine Aufmachung entsprach in keiner Weise den gängigen Vorstellungen. Luzifer in der Amtstracht eines Kirchenmannes. Das war ein Widerspruch in sich.
„Was ist?“, erkundigte er sich und trat einen Schritt zurück. „Stimmt etwas nicht?“
„Ist hier überhaupt etwas richtig?“, antwortete ich mit einer Gegenfrage.
Er musterte mich und zuckte mit den Schultern. „Okay, okay. Ich gebe ja zu, dass meine Aufmachung für dich etwas ungewöhnlich erscheint. Aber immerhin befinden wir uns im Vatikan. Was hast du da erwartet? Zwei Hörnchen auf der Stirn und ein behufter Ziegenhintern?“
Vielleicht hatte ich das wirklich. Doch allein die Vorstellung entlockte mir ein abfälliges Grinsen. Schwarze Männer und Kinderschreckgestalten aus alten Märchen huschten durch meine Gedanken und verwandelten das Grinsen in ein leises Lachen.
„Das hatte ich allerdings auch noch nicht. Angst, ja. Ehrfurcht auch, aber ausgelacht wurde ich bislang nie“, murmelte mein Gegenüber. „Entschuldige“, brachte ich mit mühsam unterdrückter Erheiterung heraus. „Aber mal ehrlich: Luzifer, der sinnbildliche Teufel und Verführer in der Basilika Sankt Peter, mitten im Heiligtum der katholischen Kirche. Das ist absurd.“
Schlagartig wirkte er pikiert. „Meinst du? Dann ist dir wohl ent-gangen, dass mein Name ,der Lichtbringer' bedeutet. Obendrein darfst du darüber nachdenken. wer mich zum göttlichsten aller Stars gemacht hat. Ohne die Kirche wäre ich ein Nichts, unbekannt und vergessen in der Zeit. Niemand hätte von mir Notiz genommen. Inquisition, Völkermord, Unterdrückung sowie Lug und Betrug und vieles mehr. Die Liste ist länger als eine Klorolle, Kind. Nein, etliche Kirchenmänner haben sich verdammt viel Mühe gegeben, mir durch ihre eigenen Taten und unter dem Deckmantel ihrer Religion ein gewisses Image zu verpassen.“ Er breitete seine Arme aus und umfasste alles um sich herum mit einer bühnenreifen Geste. „Du siehst, ihr habe ich meinen Ruhm zu verdanken. Meine Macht, meinen Einfluss, meine ganze Existenz. Wer also wäre ich, wenn ich meinen treuesten Fans fernbleiben würde und ihnen
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