Blut Licht
genauer in Augenschein. Drei Männer, wie vermutet, standen nahe einem Fenster, wo sich ihre Umrisse deutlich gegen die anbrechende Dunkelheit abhoben. Ihre Silhouetten wirkten durchweg grob strukturiert und übertrieben maskulin, bis auf den derzeit sprechenden Fettsack. Der ähnelte mehr der optischen Zumutung eines übergroßen Schinkenspeckröllchens. Dennoch durfte ich ihn keineswegs unterschätzen, da er der momentane Rudelführer zu sein schien.
Trotz bohrender Kopfschmerzen überlegte ich fieberhaft, wie ich mich aus meiner misslichen Lage befreien konnte. Ich hatte keine Zeit zum ängstlich sein, noch konnte ich darauf hoffen, durch eine glückliche Fügung plötzlich unerhofft Hilfe zu erhalten. Ich musste selbst etwas unternehmen. Denkbar schnell. Viele Möglichkeiten zur Flucht blieben mir nicht, denn obwohl ich von den Männern unbemerkt an meinen Fesseln zerrte, ließen diese sich nicht lockern. Sie saßen zu fest. Aber ich konnte mit den Fingern zumindest Teile meines Bademantels erhaschen.
Ob sie mich durchsucht hatten? Diese Idee betrachtete ich als überflüssig. Ich trug nichts weiter als meine Unterwäsche auf der Haut. Wo hätte ich darin etwas unbemerkt verstecken sollen? Daher bestand die Möglichkeit, dass sie auch im Bademantel nicht weiter nachgesehen hatten. Ich betete inständig darum, das Handy nicht verloren zu haben. Hoffentlich befand es sich weiterhin in der Tasche und lag nicht irgendwo nutzlos herum. Wenn dem so war, gelang es mir vielleicht, es zu erwischen.
Während ich mich weiterhin bewusstlos stellte, blieben meine Finger nicht untätig. Stück für Stück zog ich den Stoff des Bademantels durch die Streben der Stuhllehne. Mehrfach musste ich innehalten, weil der rundliche Leitwolf nach mir sah. Doch mit einem geeigneten Sabbern und Verdrehen meiner Augen schlug ich ihn schnell wieder in die Flucht. Offenbar spielte ich die Rolle der zugedröhnten Gefangenen überaus glaubhaft.
Er ließ sich darüber aus, dass ich ihm in meinem Zustand nichts nützen würde und er befürchtete inzwischen, die bereits erhaltene Summe zurückzahlen zu dürfen. Derweil angelte ich weiter nach der Bademanteltasche. Nach einer Weile wurde meine Suche unfreiwillig beendet und ich musste annehmen, dass nicht nur dem Material selbst ein Ende, sondern auch mein Hinterteil auf eben jenes gesetzt worden war. Behutsam rutschte ich auf dem weichen Stoff herum, stets darauf bedacht, innezuhalten, wenn einer der Männer zu mir herübersah. Fast hätte ich lauthals jubiliert, als ich einen flachen, länglichen Gegenstand unter meiner linken Pobacke fühlte. Es war da. Es war tatsächlich noch da. Ich konnte mein Glück kaum fassen. Nun musste ich es nur noch in die Finger bekommen, aber wie?
Das Glück blieb mir hold. Noch während ich nach der Lösung suchte, erklang das Geräusch eines auf Kies fahrenden Wagens und die Lichtkegel zweier Scheinwerfer huschten an den Wänden entlang. Dann erstarb der Laut und das Licht verlosch. Kurz darauf klappte eine Wagentür. Das pausbackige Speckgesicht und einer der Grobschlächter verließen das Zimmer, um den Gast in Empfang zu nehmen. Der andere Mann drehte mir den Rücken zu, trat an das Fenster und blickte durch die Rippen der Jalousie hinaus.
Perfekt. Ich spannte die Beine an, hievte mich hoch und schob mit meinem Hinterteil den Bademantel seitlich unter mir hervor. Durch die Streben hielt ich den Mantel fest, damit er nicht herunterfiel und angelte mich dann Strebe für Strebe voran, um in völlig verdrehter Haltung an die Tasche zu gelangen. Bevor ich endgültig einen Krampf erleiden konnte, hatte ich das Handy endlich herausgefummelt. Schnell setzte ich mich wieder aufrecht jonglierte das Telefon mit gefesselten Händen hinter meinem Rücken und gab erneut den Anschein tiefer Bewusstlosigkeit.
„Drück irgendwo drauf, es wird immer gelingen“, hatte er gesagt. Oh ja, das tat ich. Ich drückte auf sämtliche Knöpfe, übersäte das glatte Feld mit dutzenden von Fingerspuren und drehte es sogar in meinen Händen, um auch die Rückseite zu betasten.
„Hilf mir“, flüsterte ich. „Egal wie, aber hilf mir. Bitte, Luzifer. Du bist meine einzige Hoffnung.“
Es schien eine Ewigkeit zu vergehen, ehe ich eine hörbare Reaktion vernahm. Sie bestand aus einem einzigen, knappen Satz: „Wir sehen uns gleich, Liebelein.“
Energische Schritte hallten indes durch den Eingangsbereich des Hauses und mein Herzschlag stockte, als eine grimmige Stimme ertönte:
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