Blut Licht
los.
Inmitten dieses Chaos suchte ich Darian und fand ihn neben Lilith, die am hinteren Ende des Saales stand und mit ausgestreckten Armen nach Gehör verlangte. Es gelang ihr. Der Tumult legte sich und sie sprach, erhielt jedoch sogleich heftige Gegenwehr, unterstrichen von ruppigen Gesten. Instinktiv durchsuchte ich die Menge nach Thalion, fand aber keine Spur von ihm. Auch schienen keine weiteren Angehörigen seines Clans unter den Versammelten zu sein, denn schon damals zeichneten sie sich durch einfache, irdene Gewänder aus. Merkwürdig. Hatte die Verfolgung seines Clans da bereits begonnen?
Meine Aufmerksamkeit kehrte zurück zum allgemeinen Geschehen und ich zog die Stirn kraus, als eine Gruppe von Männern und Frauen geschlossen den Saal verließ. Ihre aufrechten Haltungen zeugten deutlich von unterdrücktem Zorn. Kurz darauf kehrte eine zweite Gruppe in gleicher Manier dem Saal den Rücken. Dann eine weitere, und noch eine. Wenige Augenblicke später war gut die Hälfte der
Versammlungsteilnehmer verschwunden.
„Die Gemeinschaft hatte für eine lange Zeit ohnehin auf dünnem Eis gestanden, jetzt aber zersplitterte sie“, hörte ich Lilith leise sagen. „Kains Verschwinden hatte ein Machtvakuum hinterlassen, das ich selbst mit eisernem Willen nicht ausfüllen konnte. Sie waren weder bereit sich mir zu unterwerfen noch Dahad als meine rechte Hand zu akzeptieren. Das war mein erster, großer Fehler. Ich habe die Machtgier der einzelnen Clansführer unterschätzt.“
„Welcher war dein zweiter?“, kam ich nicht umhin zu fragen.
„Ich ließ Ahjarvir am Leben.“
Oh. Zum ersten Mal, seit wir in dieser Steinwüste angekommen waren und sie mir Darians Geschichte offenbarte, war ich mit ihr einer Meinung. Den Gedanken an Ahjarvis Ermordung konnte ich gut nachvollziehen. Auch ich hätte den Kerl gern vorher als Aschehaufen gewusst. Dann wäre vieles nicht geschehen. Ich wusste zum gegenwärtigen Zeitpunkt nur nicht, was in dem Fall alles ungeschehen geblieben wäre.
„Was passierte nach ihrem Abgang?“, wagte ich mich zögernd vor und erhielt umgehend die nächste Antwort.
Erneut erblickte ich ihr Schlafgemach. Ich war bereits auf Protest eingestellt, als ich sie vollständig bekleidet auf dem Bett sitzen sah. Darian kniete vor ihr und hatte seinen Kopf in ihren Schoß gebettet. Ich verkniff mir ein Veto und beobachtete sorgenvoll das weitere Geschehen. Doch wenn sie mir abermals eine intime Szene präsentieren wollte, würde ich ihr kräftig gegen das Schienbein treten.
Zu meiner Überraschung kam es zu keiner körperlichen Vereinigung, sondern zu einem Vorgang, den ich nicht verstand. Langsam sah Darian auf. Sein entschlossener Blick suchte den ihren und zielstrebig ergriff er ihre Hände. Zunächst schien es, als wollte sie ihm die Bitte verweigern, lenkte aber schließlich ein. Beinahe zögernd legte Lilith ihre Hände seitlich an seine Schläfen und sah ihn einen Moment lang prüfend an. Er nickte ihr zu und sie schloss konzentriert die Augen. Dann sah ich, wie er von unvorstellbaren Schmerzen gepeinigt aufschrie, den Kopf in den Nacken warf und Tränen seine Augen benetzten. Trotz seiner Qualen hielt sie seinen Kopf weiterhin umfasst und ließ auch nicht los, als er auf den Boden sackte und verkrampft zu zucken begann.
Fast schon war ich versucht, sie verzweifelt anzuschreien, damit diese Qual ein Ende fand. Ich konnte sie selbst beinahe körperlich spüren und wollte keine Sekunde länger Zeuge dieses Martyriums werden. Da ließ Lilith endlich von ihm ab und sank neben ihm auf die Knie. Sanft zog sie ihn an sich, streichelte ihn und hielt ihn in den Armen, bis er sich beruhigt hatte. Ich atmete erleichtert durch, wand mich aus ihrem Griff und starrte sie finster an. „War das nötig nach allem, was er für dich getan hat?“
Sie lächelte, und doch bemerkte ich eine Spur von Ergriffenheit in ihrem Blick, als sie beteuerte: „Es war sein Wunsch, Faye. Er bat mich, für den Fall, dass er meinen Feinden in die Hände fallen sollte, die Erinnerungen an Kains Dahinscheiden sowie sämtliche Einzelheiten zu dessen Grabmal aus seinem Gedächtnis zu löschen. Ich durfte ihm diese Bitte nicht abschlagen.“
Nun ging mir ein ganzer Kronleuchter auf. Wegen dieser freiwilligen Migräne suchte Darian jetzt verbissen nach den Einzelheiten dessen, was er einst gewusst hatte. Das war ja, als würde ein Hund seinem eigenen Schwanz nachjagen. Es schien unlogisch.
„Auf den ersten Blick, ja“,
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